Die dystopischen Zwölf #9 - Hüter der Erinnerung


"Warum müssen Ihr und ich diese schrecklichen Erinnerungen aufbewahren?" "Es macht uns weise", entgegnete der Geber. (S. 118)

Jonas lebt in einer perfekten Gesellschaft, in der niemand Hunger oder Schmerz erleiden muss und in der es keine Gefahren gibt. Alles ist perfekt geregelt, nicht nur der Beruf jedes Einzelnen, sondern auch der Ehepartner wird von einem Komitee ausgesucht, so dass Kinder, die diesem Paar zugeteilt werden, glücklich und behütet in einer schützenden Umgebung aufwachsen können. Nur einer weiß, wie das Leben früher einmal war: der Hüter der Erinnerung. Er zeigt Jonas, der zu seinem Nachfolger bestimmt wurde, welchen Preis die Menschen für dieses glückliche Leben zahlen mussten...




Bereits lange bevor der Dystopie-Trend nach Deutschland gekommen ist, hat Lois Lowry 1993 mit "The Giver" ihre Version einer vermeintlich perfekten Welt beschrieben und damit für mich eines der wohl wichtigsten sozialkritischen Jugendbücher überhaupt geschaffen; nicht umsonst wird "Hüter der Erinnerung" auch immer wieder gerne als Schullektüre eingesetzt.     
 
Jonas steht kurz vor der bedeutendsten Zeremonie in seinem Leben, bei der ihm sein zukünftiger Beruf verkündet wird, den die Ältesten anhand von jahrelangen Beobachtungen ausgewählt haben. Doch im Gegensatz zu seinen Freunden hat er absolut keinen Schimmer, ob er als Säuglings- oder Altenpfleger, als Essensverteiler oder Arzt eingesetzt werden wird. Nichts scheint so richtig zu passen. Als er zum neuen Hüter der Erinnerung ernannt wird, ist es für alle eine große Überraschung, denn dies ist die ehrenwerteste Position in ihrer Gesellschaft. Der Hüter bewahrt die Erinnerungen aus längst vergangener Zeit auf, als es noch verschiedene Jahreszeiten oder Hautfarben gab, und in der so etwas wie Großeltern existierten. Je mehr Jonas das Leben kennenlernt, wie es früher einmal war, desto mehr fragt er sich, ob sie die richtigen Entscheidungen getroffen haben...    

Jonas Gesellschaft hat es geschafft, sich den ewigen Menschheitstraum von Frieden und Wohlstand für alle zu erfüllen. Es gibt immer genug zu essen und jeder hat einen Job und einen Partner, der zu ihm passt. Und da es so gut wie keine Unterschiede mehr zwischen den Menschen gibt, gibt es auch keine Konflikte mehr. So steht jedem Kind genau ein Kuscheltier zu und an seinem neunten Geburtstag dann ein Fahrad; und jede Familie darf nur 2 Kinder bekommen, einen Jungen und ein Mädchen. Niemand in der Gemeinschaft besitzt mehr oder weniger als sein Nachbar. Individualität wurde abgeschafft, damit sich keiner zurückgesetzt oder schlechter fühlt. Nur die ab und an auftretenden helleren Augen konnten von den Genetikern bisher nicht ausgemerzt werden. 
Damit das Leben in der Gemeinschaft reibungslos läuft, gibt es natürlich auch strenge Regeln. Wer diese zu oft nicht befolgt, wird freigegeben und nach Anderswo geschickt, genau wie Alte oder auch Kleinkinder, die sich nicht entsprechend der Norm entwickeln.

Das Buch richtet sich an ein eher jüngeres Publikum und ist recht einfach geschrieben. Alles ist harmonisch, alle gehen höflich und rücksichtsvoll miteinander um und die Tage sind perfekt durchorganisiert, von den Schul- und Spielstunden bis hin zu den allabendlichen Gefühlsaussprachen. Manchem erwachsenen Leser wird dadurch zu Beginn vielleicht etwas Spannung oder Dramatik fehlen, da Jonas sehr naiv wirkt. Aber als er nach und nach die Erinnerungen des Hüters teilt, wird ihm bewusst, dass ihre Welt doch nicht so perfekt ist. 

"Hüter der Erinnerung" ist eine Geschichte, die gerade durch ihre kindliche Erzählweise umso schockierender wirkt, als man langsam dahinterkommt, was alles für Sicherheit, Wohlstand und ein sorgloses Leben aufgegeben wurde und was die Menschen dabei alles verloren haben. In der eine Gesellschaft übrig geblieben ist, die nicht einmal die Bedeutung des Wortes Liebe kennt...

Mit "Auf der Suche nach dem Blau", "Messenger" und dem erst vor kurzem erschienenen "Son" hat Lois Lowry ihr Quartett aus Geschichten rund um Jonas Welt vervollständigt. Für mich hat sie mit diesem Buch eine unvergessliche, berührende und nachdenklich stimmende Geschichte geschaffen, die definitiv Pflichtlektüre für alle Dystopie-Fans ist!

Hüter der Erinnerung - Lois Lowry
Gebundene Ausgabe: 185 Seiten
Verlag: Loewe Verlag; Auflage: 3. (1994)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3785526970


Willis Fazit:





2 Kommentare:

  1. Klingt toll *O* Kommt sofort auf meine WL :)
    Leider ist da aber so viel drauf. Aber so begeistert wie du bist, muss ich es unbedingt lesen :)

    lg

    Alisia
    alisiaswonderworldofbooks.blogspot.de

    AntwortenLöschen
  2. Tolle Rezension! Du hast mich sehr neugierig auf das Buch gemacht, ich werde es mir auf jeden Fall merken. Übrigens finde ich deinen Blog echt gut! :)

    AntwortenLöschen

Für die erforderliche Zuordnung des Kommentars werden personenbezogene Daten von dir gespeichert, nämlich Name, E-Mail und IP-Adresse. Durch das Absenden des Kommentars erklärst du dich hiermit einverstanden.