Der Zirkus der Stille - Faszinierender Einblick in eine fremde Welt



Gebundene Ausgabe | 256 Seiten | Atlantik Verlag | Hier kaufen

"Das wird dich daran erinnern", hatte meine Großmutter damals gesagt, als sie die Narbe inspizierte, "dass nicht alle Menschen das Fremde lieben." Ja, ich hatte es fast vergessen: Nicht alle Menschen lieben das Fremde. (S. 100) 


Nach dem frühen Tod ihrer Mutter wächst die junge Französin Thais bei ihrer Großmutter auf, einer Zirkusdarstellerin, die mit dem Kind nicht viel anfangen kann. Doch auch wenn viele Kinder vom bunten Zirkusleben träumen, wünscht Thais sich lieber ein normales und beständiges Leben, weshalb sie auch so schnell wie möglich nach Paris zieht, als sie endlich volljährig ist. Doch der Tod ihrer Großmutter konfrontiert Thais erneut mit ihrem alten Leben - und bringt ihr ganz neue Einsichten, über ihre eigene Identität und was sie eigentlich vom Leben will.

Der Zirkus hatte für mich schon immer etwas Faszinierendes: wilde Tiere, schrille Clowns und Artisten und bunte Zirkuswagen. Aber selbst im Zirkus leben und mit ihm herumreisen? Nee, das wäre nichts für mich. So geht es auch Thais, die in dieser Sache jedoch als Minderjährige kein Mitspracherecht hatte. Verständlich, dass sie sich da von ihrem alten Leben distanziert hat, sobald es ging. Doch als ihre Großmutter stirbt, konfrontiert deren Testament sie wieder mit allem, was sie hinter sich gelassen hat. Denn ihr Erbe soll sie sich mit dem Zirkusdirektor Papó teilen...

Die ganze Geschichte erzählt von der Suche nach der eigenen Identität und entführte mich dabei in eine fremde Welt. Auf der einen Seite das gutbürgerliche Leben, in dem Thais Zuflucht gefunden hat, und auf der anderen Seite das unbeständige Leben des fahrenden Zirkusvolks. Während Thais sich mit Papó in Verbindung zu setzen versucht, wird sie immer wieder mit den Vorurteilen konfrontiert, die den Zirkusleuten entgegenschlagen, die oft als Zigeuner beschimpft und verjagt werden. Das Buch spielt im Jahre 1978, da war die Einstellung gegenüber Andersartigkeit und dem nicht bürgerlichen Lebensstil noch weitaus verpönter als heute. Ich fand diesen Einblick in die fremde Kultur unheimlich faszinierend, denn wie auch Thais habe ich mich im Verlauf des Buches diesem anderen Lebensstil immer mehr geöffnet.

Der Schreibstil ist herrlich erfrischend und bodenständig, gewürzt mit trockenem Humor. Besonders die Charaktere haben es mir angetan. Denn die sind so bunt wie der Zirkus selbst, und das betrifft nicht nur die kuriosen Zirkusleute. Verpeilte Bestattungsunternehmer, trockene Alkoholiker oder ein riesenhafter Zirkusmitarbeiter, der von allen nur der Rumäne genannt wird und total auf Essen steht, sind nur Beispiele für den bunt zusammengesetzten Cast. 

Ich fand die Geschichte wirklich interessant und war echt gespannt, worauf sie hinauslaufen würde. Hier liegt dann auch der einzige Kritikpunkt, den ich an diesem Buch habe: ich habe das Ende einfach nicht verstanden :-P Das Buch endet offen und lässt definitiv Raum für Interpretationen, so dass ich das Gefühl habe, dass ich noch eine Weile drüber nachdenken muss. Was an sich nicht schlecht ist, mich aber auch etwas unbefriedigt zurückgelassen hat.

Wer sich also an einem offenen Ende nicht stört und Einblick in das Leben von Zirkusleuten bekommen möchte, dem kann ich dieses Buch nur wärmstens empfehlen. 




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