Die Gabe - Erschreckend realer Dystopieentwurf einer weiblich dominierten Welt

In meiner heutigen Rezension möchte ich euch eine Dystopie vorstellen, in der sich die Gesellschaft drastisch wandelt und die Frauen die Macht ergreifen. Ich fand sie genial und Naomi Alderman darf sich meiner Meinung nach mit dieser eindringlichen Geschichte in die Tradition von Margaret Atwood einreihen.


"Alles wird sich ändern,", antwortet Roxy und zupft am Seegras. "Ergibt irgendwie Sinn, oder? Und wir müssen alle neue Wege finden, wie wir das zusammen bewältigen. Du weißt schon, Typen hatten immer den Vorteil, dass sie stark sind. (...) Aber jetzt kann ich die Typen mit den Pistolen besiegen. Ich... Es ist so aufregend, nicht wahr? Das habe ich zu meinem Dad gesagt. Was wir alles zusammen auf die Beine stellen könnten." (S. 143)

Es geschieht plötzlich, überall auf der Welt: junge Frauen entwickeln die Fähigkeit, starke Stromschläge zu erzeugen. Vorbei die Zeit, in der Frauen dem "starken" Geschlecht unterlegen waren! Während die westlichen Länder noch versuchen, den Anschein zu wahren, dass alles beim Alten bleibt und Frauen mit der gefährlichen Gabe kontrolliert werden können, bricht in den Ländern, in denen Frauen bisher wenig Mitspracherecht hatten, das absolute Chaos aus und lässt erahnen, dass die Welt nie wieder so sein wird, wie sie war...

"Die Gabe" war für mich eines dieser Bücher, von denen ich mir viel erhofft hatte - und sogar mehr bekommen habe als erwartet! Es ist  eine Geschichte, die viel mehr bewirkt als nur zu unterhalten. Sie regt zum Nachdenken an, öffnet die Augen und ja, bietet auch beste Unterhaltung. Ich fand das Buch unheimlich fesselnd, habe es förmlich inhaliert und mal schockiert, mal fasziniert, aber stets absolut gepackt an den Seiten geklebt.

Anhand von Einzelschicksalen lässt uns Naomi Alderman miterleben, wie sich die Gesellschaft weltweit mal schleichend, mal schlagartig verändert. Wir begleiten den Reporter Tunde, der über die politischen Umbrüche in den unterschiedlichsten Ländern berichtet und die Bürgermeisterin Margot, die ihre tödliche Gabe verheimlicht, um ihre politischen Gegner unbemerkt manipulieren zu können. Und die mysteriöse Ally, die Frauen weltweit in einer neuen Kirche vereint, in der Gott weiblich ist und statt Jesus seine Mutter Maria verehrt wird.

Naomi Alderman hat dabei wirklich an alles gedacht und lässt auch einfließen, wie sich nicht nur die Politik verändert, sondern wirklich alle Aspekte der Gesellschaft, wie das neue Schönheitsideal bei Frauen, welche Gesetze die Männer der westlichen Welt auf den Weg bringen, um Frauen mit der Gabe zu unterdrückten oder wie sich das Sexualverhalten und Sexualpraktiken verändern. 

Das Buch ist wirklich unheimlich packend, wobei die Geschehnisse zunächst teilweise sehr überspitzt wirken. Aber wenn man etwas darüber nachdenkt, fällt einem auf, dass eben solche Entwicklungen oder Machtstrukturen, wie die Frauen sie hier aufbauen, in dieser Form auch tatsächlich schon heute existieren, nur eben von Männerhand geführt. 

Besonders krass und unerwartet war für mich, dass mir diese Buch richtig die Augen öffnen konnte. Als das mir bekannte und leider altvertraute Bild nämlich umgedreht wurde und die Männer auf einmal in die Position der Frauen gerückt sind, hat mich das die Missverhältnisse, unter denen Frauen weltweit leiden, nur noch klarer erkennen lassen und schrecklich anschaulich vor Augen geführt (besonders eindrücklich bei einer Szene, in der ein Mann vergewaltigt und anschließend getötet wird - das  hat mir erst nochmal so richtig ins Gedächtnis gerufen: das passiert Frauen in der Welt tatsächlich jeden Tag!). 

Ebenso krass war dann auch das dramatische, unerwartete Ende des Buches, das mich mit ungläubig aufgerissenen Augen zurückgelassen hat. So hat Naomi Alderman hier von Anfang bis Ende eine beeindruckende Dystopie abgeliefert, die mich noch lange nach dem Lesen beschäftigt und sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat.

Mein Fazit: Diese Geschichte wird euch von den Socken hauen! Wer glaubt, dass eine Welt, die von Frauen regiert wird, eine sanftere und bessere Welt ist, der wird hier eines Besseren belehrt! Naomi Alderman liefert uns einen dystopischen Weltenentwurf, der gerade deshalb so erschreckend ist, weil das, was den Männern hier in dieser fiktiven Geschichte geschieht, traurige Realität für Millionen Frauen in aller Welt ist. Unbedingt lesen und wirken lassen!

Broschierte Ausgabe | 480 Seiten | Heyne Verlag | Übersetzung: Sabine Thiele | Hier kaufen*

Die mit Sternchen (*) gekennzeichneten Links sind sogenannte Affiliate-Links. Wenn du auf solch einen Affiliate-Link klickst und über diesen Link einkaufst, bekomme ich von dem betreffenden Online-Shop oder Anbieter eine Provision als Werbekostenzuschuss. Für dich verändert sich der Preis nicht.

4 Kommentare:

  1. Wow, dein Fazit klingt ja echt toll! <3
    Ich bin sehr froh, dass ich Die Gabe kürzlich aufgrund mehrerer Buchtipp-Beiträge zum Weltfrauentag bestellt habe und werde es (hoffentlich) ganz bald lesen.

    Liebe Grüße,
    Nicci

    AntwortenLöschen
  2. Tolle Rezension! Du hast mich richtig neugierig auf das Buch gemacht :)

    AntwortenLöschen
  3. Wow, na das ist doch mal eine begeisterte Rezension! :)
    Danke dir, für deine mitreißenden Worte!

    Liebe Grüße
    Ramona

    AntwortenLöschen
  4. Hey,
    das hört sich nach einem tollen Buch an. Ich werde es mir gleich aufschreiben. Danke für die schöne Rezension!
    lg, Tine =)

    AntwortenLöschen

Für die erforderliche Zuordnung des Kommentars werden personenbezogene Daten von dir gespeichert, nämlich Name, E-Mail und IP-Adresse. Durch das Absenden des Kommentars erklärst du dich hiermit einverstanden.