Heute will ich euch ein Buch vorstellen, das mich ganz besonders berührt hat. An nur einem ruhigen Nachmittag auf meiner Terasse habe ich dieses Buch in einem Zug durchgelesen, weil ich es einfach nicht weglegen konnte. Doch was hat mich daran so gefesselt? Hier könnt ihr es rausfinden...
Jeder, der schon mal in Berlin oder einer anderen Großstadt mit der Bahn gefahren ist, hat sie bestimmt gesehen: die Obdachlosen, die mit monotoner Stimme um ein bisschen Kleingeld oder etwas zu essen bitten. Wie reagiert ihr da? An gutgelaunten Tagen gebe ich ihnen schon mal einen Euro, doch oftmals vergrabe ich mich einfach hinter meinem Buch und beachte sie nicht weiter. Die meisten Menschen blenden sie einfach aus, sehen sie nicht. Vielleicht weil sie unangenehm riechen, selbst schuld sind an ihrer Situation oder einfach, weil wir ihr Leid nicht sehen wollen.
Eben dies thematisiert der französische Autor Harold Cobert in seinem Roman „Ein Winter mit Baudelaire“. Inspiriert durch eine Fernseh-Reportage, hat er sich genauer mit dem Leben der Obdachlosen auf der Straße auseinandergesetzt und ein wunderschön poetisches, eindringliches Buch geschrieben. Dieses möchte ich euch heute vorstellen:
Philippe verliert kurz hintereinander seine Frau, seine Wohnung und seinen Job. Anfangs lebt er noch vom Geld auf seinem Konto, doch das geht schnell zur Neige. Arbeitslosengeld steht ihm nicht zu, eine neue Wohnung bekommt er nur mit einem festen Gehalt. Immer drängender wird für ihn die Frage, wo er die nächste Nacht verbringen soll. Aus Scham gesteht er weder seinen Eltern noch seinen Freunden seine Situation, und ohne unterstützende Hilfe rutscht er immer tiefer in die Ausweglosigkeit. Mit jeder Job-Absage, jedem Misserfolg schwindet sein Elan und Tatendrang ein Stückchen mehr, bis er schließlich nicht mehr weiter weiß und erschöpft auf einer Parkbank zusammenbricht und seine erste Nacht im Freien verbringt. Er ist zum Obdachlosen geworden…
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Dieses Buch fährt einem wirklich unter die Haut! Cobert zeigt den aussichtslosen Versuch eines Mannes, seine Würde zu bewahren und als Mensch und nicht als Schandfleck der Gesellschaft gesehen zu werden. Anfangs noch ein gebildeter Mann, versinkt Philippe nach und nach in seinem eigenen Dreck und in der Gossensprache. Dann droht ihn auch noch der Alkohol zu zerstören. In dieser Situation trifft er auf den Streuner Baudelaire, der ihm mit seiner bedingungslosen Liebe wieder etwas Hoffnung gibt.
Mit Philippes Abstieg sinkt auch das sprachliche Niveau. Anfangs dominieren wundervoll poetische Satzkonstruktionen, die jedoch immer roher werden, je mehr Philippe verkommt. Erst mit Baudelaire ändert sich seine Situation nach und nach. So hat der Autor ein berührendes mitreißendes Buch geschaffen, realistisch und unkitschig, das ich vorbehaltlos weiterempfehle. Zwar wird dieses Buch an der Situation der Obdachlosen nichts ändern können, doch mag sich durch die Lektüre wenigstens unser Blick auf sie verändern. Und genau das will Cobert wohl auch bezwecken, widmet er das Buch doch den Obdachlosen, "damit man sie nicht mehr ansieht, ohne sie zu sehen".
Nehmen und Lesen!
Ein Winter mit Baudelaire - Harold Cobert
Gebundene Ausgabe: 285 Seiten
Verlag: Pendo (9. August 2010)
ISBN-10: 3866122586
Preis: 17,95 Euro
Willis Fazit:
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