In meiner heutigen Buchvorstellung habe ich ein richtig tolles Jugendbuch für euch, das ein sensibles Thema behandelt: "Girl running, Boy falling" von Kate Gordon. Erfahrt hier, wie es mir gefallen hat:
Kate Gordon | Gebundene Ausgabe | 240 Seiten | Carlsen Verlag | Übersetzung: Sylke Hachmeister |
"Wenn man es nicht besser wüsste - wenn man nur von außen zuschauen würde -, dann könnte man denken, alles wäre ganz normal. Nur ein Mädchen und ihr bester Freund und ihre Großmutter und Sandwiches an einem Sommertag. Man müsste schon sehr genau hinsehen um die Risse zu entdecken." (S. 8)
Therese, Resey, Tiger, Champ - so vielfältig, wie die Namen, unter denen sie läuft, sind auch die Facetten ihres Lebens, welches sie perfekt durchgetaktet hat: Theaterprobe, Arbeiten bei Woolworth, Klarinette spielen im Schulorchester, Aushelfen in der Mensa - scheinbar mühelos jongliert Therese zwischen ihren Aktivitäten. Doch am liebsten verbringt sie Zeit mit ihrem besten Freund Wally, dem Goldjungen ihrer Heimatstadt, der sie versteht wie niemand sonst und herzschmerzschöne Gedichte aus dem Kopf rezitieren kann. Doch dann geschieht das Unfassbare: Wally nimmt sich das Leben und ändert damit alles...
Selten ist das Leben so im Umbruch wie beim Übergang vom Jugendlichen zum Erwachsenen, das weiß wohl jeder, der seine Teeniezeit bereits hinter sich gelassen hat. Schulstress, neue oder auseinanderbrechende Freundschaften, die erste Liebe - man durchläuft ein ganz schönes Auf und Ab der Emotionen. Und nun stellt euch vor, dass plötzlich einer der wichtigsten Stützpfeiler in eurem Leben wegbricht. Wie geht man damit um? Mit dieser Frage beschäftigt sich "Girl running, Boy falling" und hat mich damit auf eben so eine turbulente Achterbahnfahrt der Gefühle mitgenommen.
Die Geschichte erzählt uns Therese, ein vielbeschäftigtes, eher vernünftiges Mädchen, welches heimlich in ihren besten Freund Wally (eigentlich Nick) verliebt ist. Doch Wally spielt in einer anderen Liga als sie - er ist der Star der Footballmannschaft, gutaussehend, stets gut gelaunt, bei allen beliebt. Und doch gibt es eine Seite an Wally, die niemand außer Therese kennt - den nachdenklichen Wally, der Gedichte aus dem Kopf zitiert und mit Therese im Hühnerstall ihrer Oma nach Feen sucht.
"Hast du schon mal in den Himmel geschaut und gedacht, da gehören wir eigentlich hin? Als wäre die Welt verkehrt herum und wir müssten eigentlich da oben schweben?" (...) "Ich bin gern auf der Erde", gestehe ich. "Ich hab gern festen Boden unter den Füßen. Oben im Himmel hast du nichts, was dich hält. Du hättest kein Zuhause." Darauf sagt Wally nichts. Er schaut weg und blinzelt in die Sonne. Ich frage mich, ob ich etwas Dummes gesagt habe. Mal wieder. (S. 6/7)
Das Zitat beschreibt die unterschiedliche Denkweise der beiden sehr treffend. Wally ist der verträumte Überflieger, das Sport-Ass, dem alle eine glänzende Zukunft auf dem Festland prophezeien. Therese dagegen ist sehr bodenständig und hat das Bedürfnis nach Verwurzelung, Beständigkeit und Sicherheit, sodass selbst ihre Freunde sie damit aufziehen, doch auch einmal Risiken einzugehen. Risiken wie zum Beispiel, Wally zu gestehen, dass sie in ihn verliebt ist.
Doch bevor Therese den Mut findet, Wally endlich von ihren Gefühlen zu erzählen, nimmt er sich aus scheinbar heiterem Himmel das Leben - und reißt Therese damit in einen Abgrund. Sie hört auf, zu "funktionieren" und vernünftig zu sein und wehrt sämtliche Hilfsangebote ab. Ich konnte ihre Gefühlswelt absolut nachempfinden; ihre Wut auf Wally, der sie einfach verlassen hat, ihr Abblocken der gut gemeinten Hilfeversuche durch ihre Freunde oder der Schulpsychologin, aber auch ihre Selbstvorwürfe, warum sie nicht mitbekommen hat, wie es Wally im Inneren wirklich ging.
Was Wally zu seiner Entscheidung getrieben hat, vermitteln uns die Briefe, die er an seinen Vater schreibt und die bereits erahnen lassen, dass hinter der stets gutgelaunten Fassade ein tieftrauriger Junge steckt. Trotzdem hat sein Tod mich fast genauso unvorbereitet getroffen wie Therese und alle anderen in ihrer Heimatstadt. Mehr als die Briefe vermitteln erfahren wir allerdings nicht über Wallys Gefühlswelt und stehen damit genauso hilflos und mit offenen Fragen da wie Therese.
Auch wenn Wallys Schicksal natürlich das Kernelement der Geschichte bildet, geht es in "Girl running, Boy falling" tatächlich nicht vorrangig um das Thema Suizid. Vielmehr ist es ein Buch über Freundschaften, über die Familie und darum, seinen eigenen Weg im Leben zu finden. So muss sich Therese mit der Frage auseinandersetzen, warum ihr insgeheimer Drang nach Abenteuer, nach mehr als ihr ihre Heimatstadt auf der kleinen Insel vor Australien zu bieten hat, eigentlich solche Angst macht. Was es damit auf sich hat, müsst ihr jedoch selbst herausfinden...
Mein Fazit: Kate Gordon hat hier eine ganz wunderbare Coming-of-Age Geschichte geschrieben, über die erste große Liebe, über Verluste und den manchmal schmerzvollen Prozess des Erwachsenwerdens. Eine Geschichte, die mit der nötigen Sensibilität erzählt wird und die trotz der traurigen Thematik trostspendend und mutmachend ist. Und dafür gibt es von mir eine Leseempfehlung!