Heute möchte ich euch ein Buch vorstellen, in dem Fantasy und Realität gekonnt vermischt werden: Nighrunner: Vergiss wer du warst von Lukas Hainer. Warum ich trotz des faszinierenden Settings etwas mit dem Buch gehadert habe, erfahrt ihr hier:
Broschierte Ausgabe | 416 Seiten | IVI Verlag | 1. Auflage (März 2020) |
Nightrunner nennen sich die Kinder und Jugendlichen, die nach dem Krieg in Wien durch die zerstörte Stadt streifen und alles sammeln, was sich lukrativ verkaufen lässt. Evelyn hat dabei schon viele gefährliche Situationen erlebt, doch als sie einen Jungen vor Soldaten rettet, ahnt sie nicht, dass es ihr komplettes Leben verändern wird... Nachdem er vor seinem Gutsherrn fliehen musste, findet Leonow beim mysteriösen Goldschmied Fabergé eine Anstellung. Doch auch dort ist er nicht sicher, denn überirdische Mächte haben ein reges Interesse an dem Jungen. Auf der Flucht trifft er auf Evelyn und reißt sie damit beide in einen jahrhundertealten Machtkampf hinein...
Bereits mit seiner Das dunkle Herz-Dilogie konnte mich der Autor faszinieren und so habe ich natürlich auch neugierig zu Nightrunner gegriffen. Und wurde in einen wahren Zwiespalt gestürzt, denn einerseits gab es Aspekte, die ich total cool und faszinierend fand, andererseits konnte mich das Buch trotz spannender Handlung nicht ganz an die Seiten fesseln und es bleibt der Eindruck, dass das Potenzial der Geschichte nicht ganz ausgenutzt wurde. Aber lasst es mich etwas ausführlicher erklären:
Ich muss sagen, der Klappentext des Buches wird ihm nicht wirklich gerecht, denn er lässt nicht auf die Komplexität der Handlung schließen und bleibt recht vage. Die namensgebenden Nightrunner spielen viel weniger eine Rolle, als man annehmen würde und ich kann nur mutmaßen, dass dieser Fokus gewählt wurde, um die Handlung möglichst spoilerfrei zu beschreiben, was gar nicht so leicht ist. Denn ich sage euch, hier gibt es so viel mehr zu entdecken, als man von der "zwei Teenies sind auf der Flucht vor Soldaten"-Beschreibung her erwarten könnte.
Lukas Hainer vermischt hier auf faszinierende Weise Realität und Fantasy. Einerseits spielt die Geschichte offensichtlich in unserer Welt, genauer in Wien, wo die Menschen nach einem nicht näher definierten Krieg unter ihren russischen und amerikanischen Besatzern leiden. Und gleichzeitig gibt es jedoch auch Magie, Golems und die Glaubensrichtung der sogenannten Prometisten, die davon überzeugt sind, dass Halbengel auf der Erde wandeln und den Menschen göttliche Werkzeuge an die Hand gegeben haben.
Gerade den Weltenaufbau der Geschichte fand ich spannend, denn diese Welt ist geprägt vom Kampf zwischen zwei Glaubensrichtungen, zwischen Fortschritt und Unterdrückung. Auf der einen Seite stehen die unterdrückten Prometisten, die Prometheus als Erschaffer der Menschen feiern und glauben, dass er ihnen göttliche Fähigkeiten wie die Blitzkraft geschenkt hat. Auf der anderen Seite stehen die herrschenden Jesiten, die menschliche Errungenschaften wie Strom und Maschinen als gefährlich und verboten ansehen.
In dieser Welt wachsen Evelyn und Leonow an unterschiedlichen Orten auf und ahnen nicht, dass ihre Schicksale eng miteinander verknüpft sind. Beide entstammen der verarmten Bevölkerung, doch während Evelyn sich nach dem Tod ihres Vaters als Nightrunner im besetzten Wien durchschlägt, landet Leonow auf der Flucht vor seinem Gutsherrn in der Zarenstadt beim mysteriösen Goldschmied Fabergé, der ihn bei sich aufnimmt und merkwürdige ritualartige Praktiken mit seinen Lehrlingen durchführt. Als Evelyn und Leonow Jahre später aufeinandertreffen, nimmt die Handlung richtig Fahrt auf und hält einige Überraschungen bereit.
So faszinierend ich sie auch fand, hat mich die Geschichte oftmals doch aber auch etwas verwirrt. Anfangs bekommt man den Eindruck, als würde sie in der Vergangenheit spielen, weil von Zaren und Fabergé die Rede ist und auch Wien wirkt wie zu Zeiten der Industrialisierung. Erst im Verlauf der Geschichte mehren sich die Zeichen, dass das nicht unbedingt stimmt und je weiter die Handlung fortschritt, desto mehr Fragen kamen bei mir auf. Da diese leider nicht geklärt werden, hoffe ich, dass es eine Fortsetzung von Nightrunner geben wird, die etwas mehr Klarheit und Details bringt, denn so nagen die Ungereimtheiten doch noch ganz schön an mir, auch nachdem ich das Buch beendet habe. Und es gibt auf jeden Fall noch einiges, was erkundet werden will in dieser Welt und bisher nur grob angeschnitten wurde.
Während mich das Setting trotz der Ungereimtheiten wirklich faszinieren konnte, war das bei den Charakteren leider nicht der Fall, obwohl Hainers Hauptprotagonisten Leonow und Evelyn eigentlich total spannende Geschichten mit sich bringen und im Verlauf des Buches auch eine ziemlich krasse Wandlung durchmachen. Nur blieben mir ihre Beschreibungen irgendwie zu oberflächlich, zu flach, oftmals handeln sie nicht, sondern reagieren nur und wirken so wie Statisten in ihrer eigenen Geschichte, ohne eigene Motivation, von den Kräften um sie herum hin- und hergeworfen. Dadurch habe ich nicht wirklich mit ihnen mitfühlen können und es hat mich weit mehr gereizt, mehr über die auftretenden Nebencharaktere zu erfahren als über die beiden.
Mein Fazit: An einigen Stellen zu konfus, zu wenig ausgeführt, zu viele offene Fragen - Nightrunner hat mich in einen ganz schönen Zwiespalt gestürzt, denn trotz der Kritik fand ich Lukas Hainers Geschichte originell und spannend, auch wenn ich mit der Ausführung etwas gehadert habe. Sollte es eine Fortsetzung geben, bin ich deshalb trotzdem wieder mit dabei :-)