Glaubt ihr an Liebe auf den ersten Blick? Aber wie sieht das ganze aus, wenn man sich nie gesehen hat, sondern nur die Stimme des anderen kennt? Darum geht es in "Bevor ich dich sah" von Emily Houghton.
Broschierte Ausgabe | 432 Seiten | Heyne Verlag | Übersetzung: Stefan Lux |
Ein Krankenhaus auf der Rehastation, zwei Betten, durch Vorhänge voneinander getrennt. Hier liegen Alice und Alfie, beide nach Unfällen schwer verletzt. Während Alice mit niemandem spricht und sich von allen abschottet, heitert Alfie mit seiner stets guten Laune die gesamte Station auf und setzt es sich zum Ziel, auch seine schweigsame Nachbarin zum Sprechen zu bringen. Doch erst als Alice mitkriegt, dass Alfie unter heftigen Albträumen leidet und genau wie sie mit seinem Schicksal hadert, öffnet sie sich ihm. Gemeinsam geben sie einander Halt, und kommen sich dabei immer näher...
Kann man sich in einen Menschen verlieben, ohne ihn je gesehen zu haben? Emily Houghtons Geschichte jedenfalls ist ein lautstarkes Plädoyer dafür. Hier treffen zwei Menschen aufeinander, die vom Typ her kaum unterschiedlicher sein könnten und einander immer mehr ans Herz wachsen, obwohl sie einander noch nie zu Gesicht bekommen haben. Aber es ist nicht nur eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, sondern auch eine über körperliche und seelische Verletzungen und den schweren Weg zurück ins Leben.
Nachdem sie einen Brand in ihrem Büro nur knapp überlebt hat, liegt Alice mit schweren Verbrennungen im Krankenhaus auf der Rehastation, wo sie nicht nur fürchterliche Schmerzen quälen, sondern auch das Wissen, dass sie für immer entstellt ist. Penibel vermeidet sie den Blick in den Spiegel und lässt ihr Bett stets mit Vorhängen verhüllen, damit sie niemand der anderen Patienten auf der Station sieht.
Im Nachbarbett liegt Alfie, der bei einem Autounfall nicht nur ein Bein,
sondern auch seine besten Freunde verloren hat. Nach außen hin versucht
er sich nichts anmerken zu lassen und seine positive Art beizubehalten, die ihn vor seinem Unfall immer ausgezeichnet hat. Doch nachts quälen ihn Albträume und die Frage, ob er überhaupt in sein altes Leben zurückkehren kann.
Unterschiedlicher könnten die beiden Hauptcharaktere kaum sein: Alfie ist ein optimistischer, aufgeschlossener Lehrer, der immer versucht, andere zu motivieren. Alice dagegen ist sehr verschlossen und lebt einzig für ihren Beruf, in dem sie stets nach Erfolg strebt. Doch die Gespräche der beiden offenbaren, dass sie einander trotz dieser Gegensätze perfekt ergänzen. Ich fand es sehr erfrischend und romantisch zu sehen, wie sich zwei Menschen näherkommen, einfach nur indem sie miteinander reden und war verzaubert von den kleinen Gesten, mit denen sie einander bedenken.
Leider wurde mir die Geschichte zur Mitte hin dann aber etwas zu langweilig, weil gefühlt lange Zeit nichts passiert neben Gesprächen und Therapiestunden. Das mag an der Begrenzung auf das Krankenhaus als Schauplatz gelegen haben, trotzdem habe ich der Entlassung aus dem Krankenhaus genauso entgegengefiebert wie Alfie, in der Hoffnung, dass dann wieder etwas Schwung in die Geschichte kommen würde. Wobei ich vermute, dass es der Autorin gar nicht darum ging, eine möglichst abwechslungsreiche Geschichte zu erzählen, sondern eher eine ruhige Geschichte, die von dem inneren Heilungsprozess getragen wird, den die Charaktere durchlaufen müssen. Und das ist ihr wirklich ergreifend gelungen.
Mein Fazit: Insgesamt war "Bevor ich dich sah" für mich eine schöne romantische Geschichte, die beweist dass es nicht auf Äußerlichkeiten ankommt, um Gefühle füreinander zu entwickeln und die außerdem zeigt, dass es okay ist, nicht immer stark zu sein. Fans von eher ruhigen, romantischen Geschichten sollten dem Buch definitiv eine Chance geben.