Seelenhüter - Ganz anders als erwartet


"Ich will sterben", flüsterte der Junge."Nicht", flüsterte Calder dem Jungen zu. Der Seelenhüter lehnte sich dicht zu ihm.  "Sie will, dass du lebst." Zuerst bemerkte er nicht, worum er da bat.
Der Schlüssel an seiner Brust vibrierte leise warnend, doch er ignorierte es. "Lebe für sie", flüsterte er, und die Luft peitschte um ihn herum.

Calder ist ein Seelenhüter, der seit über 300 Jahren die Seelen Sterbender in den Himmel geleitet. Erfüllt von Mitgefühl für die Hinterbliebenen, doch nie zweifelnd hat er seine Aufgabe bisher immer gewissenhaft erfüllt. Doch eines Tages erblickt er eine wunderschöne Frau am Bett eines sterbenden Jungen und spürt eine seltsame Verbindung zu ihr, als würde er sie aus einem früheren Leben kenne. Er verliebt sich augenblicklich in sie und für ihn steht fest: sie muss seine Seelengefährtin sein. Um der Frau den Schmerz zu ersparen, verweigert er dem sterbenden Jungen die Hand, die ihn in den Himmel geleiten soll und zwingt ihn so zum Weiterleben. Fortan kann er die Frau nicht mehr vergessen und als er die Chance erhält, besetzt er den Körper eines Sterbenden, um ihr nahe zu sein. Doch damit verstößt er gegen die uralten Gesetze der Hüter – mit fatalen Folgen...

                                                              Meine Meinung                                                             


An manche Bücher geht man mit einer bestimmten Erwartungshaltung heran und muss dann im Verlauf des Buches feststellen, dass diese Erwartung vollkommen über den Haufen geworfen wird. So ist es auch bei „Seelenhüter“. Ich fürchte leider, dass viele Leser, die das Buch nur aufgrund des Klappentextes gekauft haben, enttäuscht sein werden, denn der Klappentext verspricht einfach etwas ganz anderes, als das Buch letztlich bietet. Und ich finde, das hat dieses schöne Buch nicht verdient. Erwartet man von der Beschreibung her eine romantische Liebesgeschichte ähnlich wie bei „Silberlicht“, bietet das Buch tatsächlich in Wahrheit eine Geschichte um Calders Schicksal als auf die Erde verbannter Seelenhüter und die letzten Tage der Zarenfamilie Romanov.

Der Körper, den Calder besetzt, gehört nämlich niemand anderem als Grigori Rasputin und seine Angebetete entpuppt sich als die Zarin Alexandra. Bestürzt muss Calder erkennen, dass es sich nicht um seine Seelengefährtin handeln kann und er sich die seltsame Verbindung zu ihr scheinbar nur eingebildet hat. Wie konnte er nur für diese Fantasie die göttlichen Gebote brechen und Rasputins Seele in der Ebene der verlorenen Seelen zurücklassen?

Doch Rasputin ist mit seiner Existenz als ruheloser Geist gar nicht so unzufrieden und will dem reuigen Calder nicht zurück in den Himmel  folgen. Stattdessen wird er zum Vermittler zwischen den anderen Seelenhütern und Calder, der wegen seines Verstoßes gegen die Gebote nicht mehr in den Himmel zurück kann, bevor er das Chaos nicht wiedergutgemacht hat. Dazu erhält er die Aufgabe, die Zarenkinder zu retten und einen neuen Begleiter auszuwählen, der Calders Lehrling werden soll.

Soviel zur tatsächlichen Handlung. Ein bisschen wusste ich schon über das Schicksal der Zarenfamilie Romanov und gerade dieses Wissen machte das Buch nur noch trauriger. Denn Calder weiß natürlich nichts von dem Schicksal, welches die Familie erwartet und schildert viele Vorkommnisse ganz nüchtern und von außen betrachtend, wie beispielsweise die weißbemalten Scheiben oder den Bretterzaun um das Haus herum, welches für die Familie von zentraler Bedeutung ist.

Bis zu einem bestimmten Punkt kann man als Leser noch vorhersehen, was als nächstes passieren wird, doch ab der Hälfte war ich völlig ahnungslos, in welche Richtung sich die Geschichte nun entwickeln würde. Würde es doch noch die versprochene Liebesgeschichte geben? Und wird Calder in den Himmel zurückkehren können? Nur so viel sei verraten: ein wenig Liebe wird es noch geben.

Laura Whitcomb versteht es einfach immer wieder, ihre Leser zu überraschen. Das Buch beginnt gewohnt ruhig, wie man es schon aus „Silberlicht“ kennt. Whitcomb lässt sich Zeit mit der Einführung in Calders Welt. Stirbt ein Mensch, gelangt Calder durch eine Tür zum Todesschauplatz und wartet auf die Entscheidung der Seele. Von dort führt er sie auf die Passage in den Himmel, auf der den Seelen ihre Fehler, aber auch ihre guten Taten vorgeführt werden. Flieht eine Seele jedoch vor ihrem Begleiter, strandet sie im Land der verlorenen Seelen und streift als unsichtbarer, unglücklicher Geist über die Welt.

Calder als Hauptcharakter fand ich sehr interessant. Wie auch schon Helen in „Silberlicht“, wird Calder von seiner Vergangenheit verfolgt. Obwohl sich Seelenhüter nicht an ihr Leben als Menschen erinnern können, erlangt Calder mit jedem Tag, den er länger auf der Erde verweilt, ein Stückchen seiner Erinnerungen zurück.

Das ganze Buch ist gewohnt schön geschrieben, auch wenn man die Handlung diesmal wohl als ein wenig still und sogar etwas langatmig beschreiben könnte, aber das verzeihe ich Whitcomb, denn das ist einfach ihr Schreibstil. Ihr solltet von diesem Buch allerdings keine hochdramatische Geschichte erwarten, sonst könntet ihr wirklich enttäuscht sein. Ich konnte das Buch trotzdem nicht weglegen, denn das Schicksal der Zarenfamilie und nicht zuletzt Calders Versuch, die Welt wieder in Ordnung zu bringen, haben doch eine merkwürdige Faszination auf mich ausgeübt.
   
Mein Fazit: Ganz anders als erwartet und doch wundervoll! Trotz kleiner Schwächen hat mir „Seelenhüter“ wieder sehr gut gefallen und Laura Whitcomb zählt jetzt offiziell zu meinen Lieblingsautoren. Lasst euch vom Klappentext jedoch nicht in die Irre führen: "Seelenhüter" ist keine simple Liebesgeschichte. Wer nach herzzerreißender Romantik sucht, sollte diesmal lieber zu einem anderen Buch greifen. Wer aber „Silberlicht“ mochte und eine ungewöhnliche Geschichte über das Leben nach dem Tod sucht, ist hier genau richtig!

P.S: Als weiterführende Literatur werde ich mir nun endlich mal „Das Haus zur besonderen Verwendung“ von John Boyne vornehmen, denn mit diesem Haus ist nichts anderes als der letzte Wohn- und Inhaftierungsort der Zarenfamilie gemeint.

Seelenhüter - Laura Whitcomb
Gebundene Ausgabe: 368 Seiten
Verlag: PAN (2. Mai 2011)
ISBN-10: 3426283328

Preis: 14,99 Euro

Willis Fazit:




Vielen Dank an den PAN-Verlag für das Rezensionsexemplar!

3 Kommentare:

  1. Hallo Friedelschen's Bücherstube wenn dir das Besser gefällt. Ich weiß nicht ob ich schon einen Kommentar zu dieser Rezi geschrieben habe, aber sie ist sehr schön. :) Ok das war jetzt vielleicht nicht der Sinn, dass ich jetzt nach deiner Rezi, das Buch doch nicht kaufe, weil ich einfach was anderes erwartet habe, aber was ich gut finde ist, dass du das Buch deshalb nicht runtergemacht hast. Zu dem letzten Post, bei mir ist der letzte Post wieder aufgetaucht, aber der Kommi war weg :( Außerdem spielen bei mir die Labels verrückt :( Das is doof. Deshalb speichere ich alle Post in einem Word Dokument.

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  2. Huhu! Weißt du was? "Silberlicht" von Laura Whitcomb hat mir nicht besonders gefallen, aber deine Rezension... Die ist SO gut und vielversprechend und das ZITAT am Anfang... HAben mich nun doch überzeugt und ich MUSS es doch noch lesen >_<
    Alles nur die Schuld deiner Worte :P :D

    Naja, wahrscheinlich hätte ich sowieso irgendwann danach gegriffen!

    LG,

    Charlousie

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  3. Ich bin gerade dabei, das Buch zu lesen, war auch ziemlich überrascht, nachdem die ersten zwanzig Seiten anstrengend klischeehaft waren und das dann alles total anders kam und irgendwie zum Teil abgedreht wurde.
    Ich bin noch nicht durch, deswegen habe ich mir auch nur den ersten Teil deiner Rezi durchgelesen, um nicht vorher alles zu erfahren^^
    Aber ich weiß echt noch nicht so recht, was ich von dem Buch halten soll. Aber unerwartet ist es auf jeden Fall.

    Und mich würde mal interessieren, ob die Leute, die den Klappentext entworfen haben, das Buch überhaupt gelesen haben. Denn, mal ehrlich, der passt einfach gar nicht zum tatsächlichen Inhalt des Buches. Na ja.

    Bin gespannt, wie es noch weiter geht. ;)

    Liebe Grüße

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