Die Beichte - Ein Mann bricht sein Schweigen

"Für mich gibt's Konsequenzen, für dich hat's nie welche gegeben. Du warst immer geschützt, im Schoß der Kirche. Freilich, ein paar Jahre lang haben sie dich in irgendein Dreckloch versetzt, weit hinten in den Bergen, aber dann war alles vergeben und vergessen." 



Ein Mann betritt eine Kirche, in seinen Armen hält er seinen Sohn. Er will beichten, darüber berichten, was er getan hat. Er hat sich an seinem Sohn vergriffen, wie es in seiner Kindheit auch mit ihm geschah. Doch der Priester, der ihm die Beichte abnehmen soll, ist ihm kein Unbekannter -als Kind unterstand er jahrelang dem Schutz des alten Mannes. Doch die Zuneigung hatte ihren Preis. Und die Konsequenzen verfolgen Martin heute noch...





Es ist noch gar nicht so lange her, da ging ein Aufschrei durch die deutsche Presse: ehemalige Schüler einer kirchlichen Einrichtung berichteten von jahrelangen sexuellen Übergriffen durch die Aufseher. Damit war eine riesige Welle des Entsetzens verbunden, denn immer mehr nun schon erwachsene Betroffene meldeten sich und berichteten vom Missbrauch in Heimen oder der Kirche. Die Empörung war groß, die Kirche entschuldigte sich. Doch die Täter kamen zumeist mit einer Schelte und Versetzung davon.

Bereits im Jahr 1999 gab es in Irland eine Dokumentation über die Zustände in Erziehungs-und Waisenheimen, in der viele von sexuellem Missbrauch berichteten. Mitterer, der als Schriftsteller in Irland lebt, stellte sich bald schon die Frage, ob es nicht auch in seinem Heimatland Österreich solche Vorfälle gibt und durch Gespräche in seinem Bekanntenkreis spürte er bald Betroffene auf. Ihre Erzählungen bildeten die Grundlage für dieses Theaterstück, was zuerst als Hörspiel produziert wurde.

Martin, ein mitterweile fünfzigjähriger Familienvater, verdeutlicht, welchen Schaden der Missbrauch durch Vertrauenspersonen anrichten kann. Nichts hat er in seinem Leben auf die Reihe gekriegt, weder im Arbeits- noch im Familienleben. Nun, da er beim Missbrauch seines Sohnes erwischt wurde und von der Polizei verfolgt wird, sucht er Vergebung und will Buße tun. Doch kann er je wieder gutmachen, was er seinem Sohn angetan hat? Ausgerechnet im Beichtstuhl trifft er auf seinen alten Aufseher, der ihn erst zu dem gemacht hat, was er heute ist - ein Versager. Schlimmer noch - ein Monster!
Pater Eberhard, nun schon ein alter Mann, will von den Anschuldigungen zuerst nichts hören, die sein ehemaliger Zögling gegen ihn vorbringt. Zuerst leugnet, dann versucht er, die Schuld auf Martin selbst zu schieben, der ja nie "nein" gesagt hätte. Doch schließlich gesteht Pater Eberhard seine Schuld ein.

Obwohl das Stück nur wenige Seiten umfasst, schafft es Mitterer mit wenigen Worten doch, eine sehr komplexe und dramatische Geschichte zu erzählen. Die Motive und Gefühle des Täters werden hier genauso gezeigt wie die Konsequenzen des Missbrauchs für das Opfer. Als Theaterstück mit vereinzelten Regieanweisungen und Rückblicken geschrieben, überlässt es Mitterer dabei der Vorstellungskraft des Lesers, sich die traurige Geschichte vorzustellen: ein achtjähriger Junge, der nach dem Tod seiner Eltern im Waisenheim landet und glaubt, im Pater einen Vertrauten gefunden zu haben. Doch die Zuneigung des Paters geht bald schon über das väterliche Maß hinaus. Aber um seine Zuwendung nicht zu verlieren, schweigt Martin. Er schweigt sein ganzes Leben lang, bis es fast schon zu spät ist.

Obwohl Mitterers Position zur Thematik offensichtlich ist, betreibt er hier keine Schwarz-Weiss Malerei. Der Pater wird nicht als perverser Unmensch und Martin nicht (nur) als hilfloses Opfer dargestellt, schließlich ist er selbst auch zum Täter geworden. Wobei es mir natürlich schwer fiel zu verstehen, wie jemand, der selbst so etwas durchlitten hat, das auch seinem Kind antun kann. Gerade dadurch, dass eben nicht alles einfach so erklärt werden kann, hat mich das kleine Büchlein aber doch sehr aufgewühlt. Mitterer hat hier ein Werk von großer Wortgewalt geschaffen, auch wenn er natürlich keine Antworten auf die Frage liefern kann, die die Betroffenen am meisten quält - kann ich jemals verzeihen? Kann ich Vergebung finden? 

Die Beichte - Felix Mitterer
Broschiert: 75 Seiten
Verlag: Haymon Verlag; Auflage: 1 (27. Mai 2011)
ISBN-10: 3852188725
Preis: 9,95 Euro

Willis Fazit:



Du willst wissen, wie es ausgeht? Hier wird das Ende verraten (zum Lesen markieren):
Nach dem Gespräch will Martin sich und seinen Sohn umbringen. Der Pater kann ihn jedoch überzeugen, weiterzuleben. Während er mit Martins Sohn die Kirche verlässt und ihn zur Mutter zurückbringen will, bleibt Martin zurück, während die Polizeisirenen näher kommen.

3 Kommentare:

  1. Hey ho,

    also ich habe die Rezi zu Atherton fast fertig, es wird denke ich 4 oder 5 Sterne erreichen, ich habe mich noch nicht ganz festgelegt.
    Es ist auf jeden Fall lesenswert!

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  2. Also hat es Mitterer wieder mal geschafft, wundert mich gar nicht. "Kein Platz für Idioten" könnte dir auch gefallen :)
    Ist das Buch eigentlich auf Hochdeutsch geschrieben? Manchen Stücken von Mitterer merkt man das Tirolerische sehr an.

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  3. Die Beschreibung von "Kein Platz für Idioten" stand hinten drin und hat mich auch gleich sehr angesprochen, das werde ich bestimmt auch noch lesen.
    Hm, also im Großen würde ich sagen, war es hochdeutsch, auch wenn ein paar Verbformen oder Wörter wohl eher in Österreich oder Süddeutschland Verwendung finden.

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