„Um Menschen zu bleiben, mussten wir essen. Ja. Ganz banal: essen. Nur eben: was? Es war ja nichts Essbares mehr da. Was wir gehabt hatten, war aufgezehrt. Wir waren am Ende. Es war nichts mehr da. Außer den Toten. Unseren Toten. Man durfte es nicht laut sagen. Nicht einmal denken. Wir dachten es trotzdem.“
Im Jahr 1972 stürzt ein Flugzeug der Uruguayanischen Air Force über den Anden ab. Diejenigen, die den Absturz überleben, sind fast schutzlos der Kälte ausgesetzt. Doch sie sind voller Hoffnung. Bis zuletzt bestand Funkkontakt, man weiß sicherlich ganz genau, wo sie sich befinden. So macht man sich schweren Herzens daran, den Verstorbenen die Sachen auszuziehen, um nicht zu erfrieren, und die spärlichen Essensvorräte zu sammeln. Allzu lange müsse man ja nicht durchhalten, bis die Rettung kommt. Doch nach acht Tagen müssen sie im Radio hören, dass die Suche nach ihnen aufgegeben wurde. Sie werden für tot erklärt. Damit schwindet jede Hoffnung auf Rettung. Sie müssen sich selbst helfen. Eine Expedition wird ausgesandt, die nach Hilfe, nach Nahrung, nach der Zivilisation sucht. Doch vergeblich. Als die Nahrungsvorräte schließlich vollends aufgebraucht sind, schleicht sich ein grausiger Gedanke in ihren Kopf. Fleisch ist genügend vorhanden. Aber können sie es über sich bringen, ihre toten Freunde zu essen?
Das Schicksal der Überlebenden des Fluges 571 hat viele Bücher und sogar einen Film inspiriert. Jürg Amann beschränkt sich in seiner Version der Geschichte auf das Wesentliche. Keine verschnörkelten, mitleidheischenden Beschreibungen. Stattdessen nüchterne Sätze: Wir wollen überleben. Dazu müssen wir essen. Aber es gibt nichts zu essen außer den Toten. Also essen wir eben die. Und doch haben diese knappen Sätze eine so intensive, fesselnde Wirkung, dass man das Buch nicht weglegen kann. Die Protagonisten wirken durch ihre Gedanken, in denen sie mit Gott hadern und über Recht und Unrecht verzweifeln, sehr menschlich und real.
Das Buch hat mich sehr mitgenommen. Eine Geschichte mit so wenig Seiten ist eigentlich schnell ausgelesen, und doch hab ich ziemlich lange dafür gebraucht. Das lag daran, dass ich oft während des Lesens innehalten musste, schlucken musste, mich fragte, welche Entscheidung ich treffen würde.
Amann beleuchtet Fragen der Moral, in einem Umfeld, in dem niemand da ist, um die Betroffenen zur Rechenschaft zu ziehen, in dem es keine Tabus gibt außer den selbst auferlegten. Und Moral kann letztlich ihr Sterben nicht verhindern. Wie weit darf ein Mensch also gehen, um sein eigenes Überleben zu sichern?
Die Reise zum Horizont - Jürg Amann
Gebundene Ausgabe mit Schutzumschlag
104 Seiten
Verlag: Haymon Verlag
ISBN-10: 3852186404
Preis: 16,90 Euro
Wer mehr über das Unglück wissen möchte:
Vielen Dank an den Haymon Verlag für die Zusendung des Buches!
Willis Fazit:
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