Die dystopischen Zwölf #6 - Wir treffen uns, wenn alle weg sind

Die Welt ist verrückt geworden und es wird wohl nie mehr so sein, wie's mal war. Das hab ich letztens auch zu Jessica gesagt. "Nie? Was meinst du damit?", fragte sie.
"In absehbarer Zeit, meine ich", antwortete ich. Eine absehbare Zeit - das ist für einen Menschen doch wohl seine Lebenszeit.

EBS ist nur ein harmloses Virus, denkt sich Mojmir, als er das erste Mal davon hört. Doch während er seine Zeit abgeschieden in den Bergen bei seiner Oma verbringt und die schwer kranke Frau pflegt, greift die Krankheit auf der ganzen Welt um sich. Erst sind es nur ein paar Hunderte, dann Tausende - und schon bald lebt fast niemand mehr in der sonst so lebhaften Stadt Prag, ja, auf der ganzen Welt. Alle haben sich einfach aufgelöst, sind verschwunden. Erst da begreift Mojmir, dass sein normales Leben vorbei ist. Was ist mit seinen Freunden in Prag geschehen? Zusammen mit Vasek und Jessica, die er unterwegs trifft, macht er sich in die verseuchte Stadt auf, um sie zu finden...

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Manchmal kommt das Unheil ganz still und leise, statt mit einem lauten Knall. So ist es bei Mojmirs Geschichte. EBS ist erst nur eine merkwürdige Nachrichtenmeldung, die er für eine Zeitungsente hält. Menschen, die sich einfach auflösen? Von denen nicht mehr als ihre Klamotten übrigbleiben? Das kann doch nur ein Scherz sein. Aber plötzlich hört er von immer mehr Menschen, die betroffen sind. Sie fühlen sich erst etwas schwindelig, dann federleicht, bis sie plötzlich einfach nicht mehr da sind.

Das Szenario hat etwas unheimliches an sich. Überall, wo Mojmir hinkommt, sind die Häuser leer, die Türen stehen offen und hinter den Fenstern brennen keine Lichter. Nirgends. Und überall liegen Hemden, Hosen und Schuhe, wo noch vor kurzem ein Mensch gelebt hat. Nur wenige haben das Virus überlebt, und die Übriggebliebenen verschanzen sich, haben Angst voreinander und vor einer Ansteckung. Jeder scheint auf sich allein gestellt zu sein. Auch Mojmir bleibt anfangs lieber für sich, aber irgendwann erkennt er, dass Alleinsein für den Rest seines Lebens keine angenehme Vorstellung ist.

Procházková hat eine tolle Art zu schreiben. Viele Autoren versuchen ja oft, möglichst "jugendlich" zu schreiben und schießen dabei über ihr Ziel hinaus. Mojmir allerding ist der Autorin perfekt gelungen. Ich habe keine Minute gezweifelt, einen achtzehnjährigen Jungen vor mir zu haben. Mojmir ist ein Roma, Waisenkind und aufgrund der Vorurteile seiner Landsleute gewohnt, einiges einzustecken. So wird er auch überraschend gut mit den Schicksalsschlägen fertig, die ihm die Krankheit aufzwingt.
Da es für Jugendliche geschrieben ist, ist das Buch weniger brutal als andere Endzeit-Geschichten, in denen die Menschen ums nackte Überleben kämpfen müssen, aber natürlich treiben sich auch hier bewaffnete Plünderer und Verbrecher herum, vor denen sich Mojmir und seine Begleiter in Acht nehmen müssen. Und auch von den Hygienikern droht Gefahr: sie nehmen jeden mit, den sie für infiziert halten. EBS als tödliche Krankheit hat allerdings einen "Vorteil": es liegen keine verwesenden Leichen in den Straßen, die die Geschichte wie einen Horrortrip erscheinen lassen würden. Dadurch wird die Krankheit aber noch weniger greifbar.

Als einzigen Kritikpunkt könnte ich anbringen, dass die Geschichte auf keinen richtigen Höhepunkt hinarbeitet und ich schon dachte, dass es sicherlich noch eine Fortsetzung geben muss, je weniger Seiten mir noch blieben. Die Geschichte ist aber in sich abgeschlossen, endet jedoch recht offen, so dass unklar bleibt, was aus Mojmir und seinen Freunden wird und wie es mit der Menschheit weitergehen wird. Wer klare Verhältnisse und ein eindeutiges Ende will, könnte daher etwas enttäuscht werden.

Mein Fazit: Wer eine hochdramatische Geschichte um die letzten Tage der Menschheit erwartet, sollte lieber zu einem anderen Buch greifen. Mojmirs Geschichte ist zwar traurig, aber nicht grausam und stimmt einen eher nachdenklich. Sie zeigt aber auch, welche Werte zählen, wenn die Menschheit am Abgrund steht. Zusammenhalt, Freundschaft - und der Glaube an die Hoffnung, dass es irgendwann wieder besser wird. 

Wir treffen uns, wenn alle weg sind - Iva Procházková
Broschiert: 304 Seiten
Verlag: Fischer Taschenbuch Verlag GmbH; Auflage: 1 (16. Januar 2009)
ISBN-10: 359680812X

Preis: 7,95 Euro

Willis Fazit:


Du willst wissen, wie es ausgeht? Hier wird das Ende verraten (zum Lesen markieren): 
Vasek wird von einem Mann erschossen. Jessica will daraufhin allein nach Paris weiterreisen, bleibt jedoch bei Mojmir. Einige Monate später finden sie heraus, dass Mojmirs Freund Egon überlebt hat, nach dem er die ganze Zeit gesucht hat. Er ist am Toten Meer und wartet dort auf seinen Freund.

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