Die andere Hälfte der Welt - Erschreckend realistische Pandemie-Geschichte über das Sterben der Männer

Kurz vor Jahresende habe ich noch einen packenden Buchtipp für euch: Die andere Hälfte der Welt von Debütautorin Christina Sweeney-Baird. Eine Geschichte über eine Pandemie:

Bild des Buchcovers von "Die andere Hälfte der Welt"
Broschierte Ausgabe | 496 Seiten | Diana Verlag | Übersetzung: Carola Fischer

"Seit mehreren Wochen bringe ich Theodore nicht mehr in die Kita. Die Vorstellung jagte mir einen Schauer über den Rücken: Mein kleiner Sohn zusammen mit dreißig anderen Kindern und Erwachsenen in einem Raum. Alles Menschen, die überall gewesen sein könnten, alles angefasst haben könnten, die das Virus in sich tragen könnten, ohne es zu wissen. Jeder könnte es haben. Daher bleiben wir hier im Haus, den Winter über; wir hoffen, die Pest zu überdauern, als würde sie unsere Kraft und unsere Willensstärke erkennen, wenn sie unser Haus sieht, und mit den Worten weitergehen: Nein, diese Familie lassen wir in Ruhe. Sie verdient das nicht. (...) Nachts flüstern wir einander die verzweifelten Ängste zweier Menschen ins Ohr, bei denen der Tod lauernd zum Fenster hereinspäht." (S. 63)

Als in Glasgow ein Mann innerhalb kürzester Zeit an grippeähnlichen Symptomen stirbt, hält Oberärztin Amanda Maclean es zunächst noch für einen traurigen Zufall. Bis die Notaufnahme kurz darauf voll ist mit Männern, die nur Stunden später tot sind. Die unbekannte Krankheit breitet sich in Windeseile in ganz Schottland aus und offenbart eine bestürzenden Gemeinsamkeit: Alle Betroffenen sind Männer, und fast jeder Erkrankte stirbt daran. Die "Männerpest", wie sie bald schon genannt wird, stürzt die Welt ins Chaos, bedroht Familien und Regierungen auf der ganzen Welt, denn die Krankheit breitet sich unaufhaltsam aus. Wird dies das Sterben der Menschheit bedeuten?

Man sollte meinen, ein Buch über eine erdachte Pandemie zu lesen, während man gerade mitten in einer tatsächlichen, realen Pandemie steckt, ist eine wenig heilsame Idee. Will ich wirklich lesen, wie ein fiktives Virus Menschen dahinrafft, während eben so ein Virus gerade den Großteil meines Alltags bestimmt? Aber trotz dieser Bedenken hat mich "Die andere Hälfte der Welt" einfach so neugierig gemacht, dass ich doch zu dem Buch greifen musste. Und was soll ich sagen: ich habe es verschlungen!

Dabei war es nicht vorwiegend der Pandemie-Aspekt, der mich gereizt hat, sondern das Gedankenspiel: wie wird sich die Welt verändern, wenn fast alle Männer sterben? Wie wird sich die Gesellschaft im Angesicht der Pandemie verhalten? Wird es Parallelen zu unserer tatsächlichen Situation geben? Als Mama war ich zunächst skeptisch, ob mir die Geschichte nicht noch aus einem weiteren Grund zu nahe gehen könnte. Immerhin kriegen wir es hier mit einem Virus zu tun, der tödlich für Alle männlichen Geschlechts ist und vor niemandem Halt macht - und gleich die erste Charakterin, der wir hier begegnen, ist Mutter eines kleinen Sohns... Glücklicherweise wird das Sterben der Betroffenen nicht im Detail beschrieben, die Autorin hat eine in meinen Augen wirklich hervorragende Balance gefunden und erzählt die Geschichte nicht übermäßig reißerisch, aber trotzdem so dramatisch und fesselnd, dass die Kapitel nur so an mir vorbeigeflogen sind und ich oftmals einen dicken Kloß im Hals hatte beim Lesen. 

Die Geschichte wird aus der Perspektive mehrerer Frauen erzählt, von der Mutter, die Sohn und Ehemann an das Virus verliert, über die Notaufnahme-Ärztin, die die ersten Patienten behandelt, bis hin zur Mitarbeiterin der Seuchenschutzbehörde. Die Handlung umfasst dabei den Zeitraum vom Ausbruch der Männerpest bis einige Jahre später, als ein Großteil der männlichen Bevölkerung tot und die Welt dabei ist, sich anzupassen. Mit all diesen Frauen habe ich mitgefiebert, mitgelitten, gehofft und gebangt und ihre Geschichten sind mir sehr nahegegangen. Alle Frauen eint der verzweifelte Versuch, das Sterben ihrer Liebsten zu verhindern und durch diese Einzelschicksale ist "Die andere Hälfte der Welt" so viel mehr als nur eine packende Pandemie-Geschichte, sondern auch eine Geschichte über Liebe und Verlust und das schmerzhafte Weiterleben.

Dass dieses Buch ein Debütwerk ist, hätte ich nie gedacht, denn die Geschichte ist unglaublich fesselnd geschrieben, die Charaktere sind vielschichtig und die Autorin beweist einen sehr einsichtigen Blick in die Psyche der Menschen im Angesicht einer Krise. Man hätte meinen können, dass die Autorin sich hier einfach von den realen Geschehnissen überall auf der Welt hat inspirieren lassen, aber nein, das Buch ist tatsächlich vor Ausbruch der Corona-Pandemie entstanden, hat durch diese aber erschreckend realistische Züge angenommen. Die Autorin sagt dazu selbst im Nachwort: 

"Es ist eine Untertreibung, wenn ich sage, dass es sich surreal anfühlt, ein Buch über eine Viruspandemie geschrieben zu haben, kurz bevor eine Viruspandemie die Welt erfasst. Mehr als einmal hat man mich halb im Scherz Kassandra genant. Als ich Die andere Hälfte der Welt im September 2018 zu schreiben begann, fühlte es sich wie das ultimative Gedankenexpieriemt an. Wie weit konnte ich meine Fantasie entwickeln? Wie würde sich die Welt durch eine globale Pandemie mit einer enorm hohen Todesarate verändern? Wie würde die Welt ohne Männer aussehen (...)?"

Mein Fazit: "Die andere Hälfte der Welt" erzählt eine erschreckend aktuelle Geschichte über eine Pandemie, die die Welt vollkommen auf den Kopf stellt und die Menschheit vor ungeahnte Herausforderungen stellt: wie sollen die Menschen fortbestehen, wenn es keine Männer mehr gibt? Für mich was es ein spektakuläres Leseerlebnis, welches ich euch nur empfehlen kann!


1 Kommentar:

  1. Wow, Friederike,

    was für ein Buch!? Und ich hab es noch nirgendwo gesehen. Die Story macht mir persönlich Angst. Es klingt furchtbar tragisch... Gerade jetzt, wie du schon sagst. Mich erinnert die Welt ohne Männer an die Jugenddystopie Eve of Man. Nicht zu vergleichen, ich weiß. Mir kam es jedoch in den Sinnl

    Liebe Grüße
    Tina

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