Game Changer - Aufrüttelndes Gedankenexperiment mit kleinem Manko

Heute habe ich wieder eine coole Jugendbuch-Empfehlung für euch, in der es um allgegenwärtige Themen wie Rassismus, Homophobie und Sexismus geht: Game Changer von Neal Shusterman.

Bild des Buchcovers von Game Changer
Gebundene Ausgabe | 416 Seiten | Fischer Sauerländer Verlag | Übersetzung: K.Lutze, A.Helweg, P.Kurbasik | Altersempfehlung: ab 14 Jahre

"Damals dachte ich, weil ich eine diverse Gruppe von Freunden hatte, könnte ich mein Kästchen für soziale Verantwortung abhaken. Als ob es für mich nicht mehr zu tun gäbe, als ein bisschen Braun an meinem Tisch zu haben. „Hautfarbe sollte keine Rolle spielen“, hat man mich immer gelehrt – und ich habe es immer geglaubt. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen dem was sein sollte, und dem, was ist." (S. 15)

Was würdest du tun, wenn du die Welt nach deinen Wünschen verändern könntest? Mit dieser Frage sieht sich Ash konfrontiert, als er erfährt, dass er durch Zufall zum Mittelpunkt des Universums geworden ist. Dumm nur, dass Ash keine Ahnung hat, wie er mit dieser Macht umgehen soll, und noch weniger, wie er sie steuern kann. So führt Ash aus Versehen wieder die Rassentrennung in den USA ein; etwas, dass er verzweifelt versucht wiedergutzumachen. Doch jede seiner Aktionen scheint alles nur noch schlimmer zu machen...

Neal Shusterman steht für mich für genial fesselnde, aufwühlende und nachdenklich stimmende Jugendliteratur. Der Autor widmet sich immer wieder packenden Themen und spannenden Gedankenexperimenten, egal ob es um Organspende, Wassermangel oder ewiges Leben geht. In seinem neuesten Werk hat nun ein Junge die Fähigkeit, die ganze Welt durch seine Wünsche zu verändern, und auch hier hat mir Shusterman wieder genau das geboten, was ich von ihm gewohnt bin: packende Unterhaltung, die mir viele Denkanstöße gegeben hat. 

Ash führt ein beschauliches, unkompliziertes Leben als weißer, cis Hetero in den USA. Bis er bei einem Football-Spiel mit einem anderen Spieler zusammenprallt und dadurch seine Realität verschiebt. Plötzlich sind Stoppschilder blau statt rot, und das ist nur der Anfang! Als Ash wieder einen solchen Aufprall erlebt, ist seine Familie plötzlich reich, und Ash ist zum Drogenhändler geworden. Was passiert nur mit ihm? Die Antwort darauf ist so erschreckend wie unglaublich: Ash ist zum Zentrum des Universums geworden und hat so die Macht, die ganze Welt zu verändern. Doch was nach einer Chance klingt, endlich alle Ungerechtigkeiten auf der Welt zu beseitigen, hält auch unendlich viele Möglichkeiten bereit, alles in die falsche Richtung zu steuern. Und so stürzen Ashs Versuche, seine ursprüngliche Realität wiederherzustellen, die Welt nur immer weiter ins Chaos...

Ich liebe solche "Was wäre, wenn..."-Szenarien und die Fragen, die damit einhergehen. Was wenn man mit einem anderen Geschlecht geboren worden wäre? Was wäre, wenn ein bestimmtes Ereignis wie die Entwicklung der Atombombe nie stattgefunden hätte? Neal Shusterman widmet sich in seinem neuesten Buch genau solchen Fragen und konnte mich damit unheimlich an die Seiten fesseln. Neben der Faszination dafür, in welche Richtung sich die Welt als nächstes entwickeln wird, fand ich es auch einfach spannend zu sehen, wie sich die Umstände auf Ashs Persönlichkeit auswirken. Wieviel vom Verhalten und den Entscheidungen eines Menschen entspringt der Persönlichkeit, wieviel machen die Lebensumstände aus?  

"Es war sowohl demütigend als auch erschreckend zu sehen, wer ich unter bestimmten Bedingungen sein konnte. Solange mein altes Ich noch lebendig war, war ich imstande, mich dagegen zu wehren - positive Korrekturen vorzunehmen -, damit ich mit mir selbst leben konnte. Aber ich wusste jetzt, dass ich dazu fähig war, ein Riesenarschloch zu sein. Das war widerlich." (S. 72)

Neben diesen Fragen nach der eigenen Identität spielen auch die Themen Rassismus, Sexismus und Homophobie eine ganz große Rolle in der Geschichte. Mit all dem gerät Ash in seinen unterschiedlichen Welten nämlich in Berührung, ist mal selbst betroffen, mal verursacht er einen Wandel in die ein oder andere Richtung. In meinen Augen ein guter Schachzug von Shusterman, um den Lesenden die eventuell vorhandenen eigenen Vorurteile oder Wahrnehmungsverzerrungen vor Augen zu führen. Denn so geht es auch Ash: obwohl er sich für einen aufgeklärten, für Ungerechtigkeiten sensibilisierten Jungen hält, muss er erkennen, dass er wahre Empathie und Verständnis erst aufbringt, als er selbst in die Situation eines Betroffenen gerät.

Shusterman lässt hier auch top aktuelle Ereignisse des Weltgeschehens einfließen, sei es der Mord an George Floyd, die Präsidentschaft von Donald Trump oder die Corona Pandemie, was dem Buch trotz des Fantasy-Aspekts ein sehr "echtes", authentisches Gefühl gibt.

Einziges Manko in meinen Augen: Die Geschichte reißt sehr viele spannende Aspekte an, durch die ständigen Sprünge in die nächste Realität werden diese jedoch leider immer nur recht oberflächlich behandelt. Aber klar, um so vielschichtige Probleme wie Rassismus oder Sexismus eingehender zu beleuchten, reichen ein paar Kapitel natürlich bei weitem nicht aus. Zumindest zeigt uns Shusterman hier aber, was prinzipiell falsch läuft. Und allein dieses Bewusstmachen ist schon ein wichtiger Schritt.

Mein Fazit: Neal Shusterman ist wieder einmal ein richtig cooles Jugendbuch mit Sogwirkung gelungen, welches viele Denkanstöße bietet. Aktuelle Themen verpackt er hier in eine fesselnde Geschichte, die teilweise zwar etwas ausführlicher hätte sein können, insgesamt aber wieder ein echt geniales Leseerlebnis geboten hat. 


1 Kommentar:

  1. Hallöchen =)

    Mich hat Shusterman leider nicht ganz so sehr überzeugen können wie dich. Ich fand die vielen angerissenen Themen, die nur stark oberflächlich angesprochen werden, ein bisschen zu schwach. Ich habe auch ein wenig Spannung vermisst. Aber insgesamt hat Shusterman wirklich ein Händchen dafür, seine Leser anzusprechen. Daher freue ich mich umso mehr auf die Scythe Reihe, die noch vor mir liegt =)

    LG
    Anja

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