Wie kommt das Salz ins Meer - Kritik am Bürgertum


"Die Frau braucht einen Mann und es geht uns gut. Er wird auf der Leiter immer höher und höher steigen, ich werde die Leiter festhalten, damit sie nicht umkippt. Wir werden Kinder haben, aber nur eigene, denn bei Adoption, sagt er, weiß man nicht, was für Erbmaterial da ins Haus kommt. Eine Frau ohne Mann, was ist das schon? Er ist stärker.

Von ihren Eltern gedrängt, stimmt die namenlose Erzählerin der Ehe mit dem Diplomingenieur Rolf zu. Denn Rolf ist ein anständiger Mann, mit soliden Werten und einer glänzenden Berufsaussicht. Gutbürgerlich ist er, und das ist für ihre Familie das Wichtigste. Doch die junge Frau, die die Ehe als Fluchtmöglichkeit vor dem spießigen Elternhaus gesehen hat, muss bald erkennen, dass sie mit Rolf nicht glücklich werden kann, denn er ist genau wie ihre Eltern. Mehr und mehr fühlt sie sich eingeengt durch die strengen Regeln des biederen Bürgertums, bis sie fast in ihrer Verzweiflung versinkt...


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"Wie kommt das Salz ins Meer" ist der erste Roman der im Juli 2010 verstorbenen Autorin Brigitte Schwaiger. 1977 erschienen, erzielte das Buch damals großen Erfolg bei Lesern und Kritikern und zählt heute zu den meistverkauften deutschsprachigen Büchern.

Sarkastisch und gleichzeitig verzweifelt schildert die namenlose Erzählerin hier das langsame Scheitern ihrer Ehe. Schon in der Schule stellte sie fest, dass sie nicht weiß, was sie vom Leben erwartet. So bestimmen es statt ihrer selbst die Eltern, raten ihr zum passenden Studium und zum passenden Mann, in den sie sich anfangs tatsächlich verliebt. Doch das Studium scheitert, und auch ihre Ehe ist lieblos und von Anstandsregeln geprägt. Rolf bestimmt, mit wem sie befreundet sein soll und wie sie sich in der Öffentlichkeit zu verhalten habe. Durch eine Affäre versucht sie sich zu befreien, doch auch dieser fast schon einzige Versuch der Selbstständigkeit scheitert.

Eine perfekte Haus- und Ehefrau wollen ihr Mann und ihre Eltern aus ihr machen, doch gerade daran zerbricht die Ich-Erzählerin fast. Denn sie ist alles andere als perfekt. Sie ist unsicher, fühlt sich ihrer Rolle als Ehefrau nicht gewachsen, ist sich über ihre Gefühle für Rolf im Unklaren und weiß nicht einmal, wann Tomaten- oder Spargelzeit ist und wieviel Gemüse kosten darf. Zusätzlich wird sie von Selbstmordgedanken und einer unerklärlichen Traurigkeit geplagt, unter der auch schon ihre Mutter litt. Natürlich im Verborgenen, denn der berufstätige, stets beschäftigte Gatte soll sich nicht durch die unverständlichen Gefühle seiner Frau gestört fühlen. Heute hat dieses Krankheitsbild einen Namen: Depression.

Obwohl das Buch aus den 70er Jahren stammt und sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt hat, wirkt das sozialkritische Thema des Buches nicht veraltet, denn jeder kennt sicherlich jemanden, den er als Spießer bezeichnen würde und der übermäßig an "veralteten" Werten festhält. Und so gibt es sicherlich noch genug Frauen, die in solchen unglücklichen Ehen gefangen sind und sich nicht trauen, daraus auszubrechen.

Die gesamte Geschichte wird ohne Anführungszeichen aus der Ich-Perspektive erzählt, wodurch eine intensive Nähe zur Erzählerin entsteht. Ich konnte mich durch den Erzählstil sehr gut in sie hineinversetzen und mit ihr fühlen. Auf die Beschreibung von Äußerlichkeiten legt Schwaiger nicht viel Wert, aber auch ohne zu wissen, wie die Umgebung oder ihre Wohnung aussieht, kommt Atmosphäre auf. Man fühlt sich beengt und eingezwängt vom biederen Alltag und oftmals wollte ich die Protagonistin am liebsten bei den Schultern packen und schütteln, damit sie sich endlich einmal auflehnt und rebelliert. 

Doch soweit kommt es nicht; wie denn auch, wenn man es gar nicht anders kennt? Schon ihre Großmutter und auch die Mutter sahen sich selbst nur als Anhang ihres Mannes, dem es ein schönes Heim zu gestalten gilt. Unter welchem Druck diese Frauen stehen, wird immer wieder in unterschiedlichen Situationen deutlich, beispielsweise als die Mutter der Erzählerin fast in Tränen ausbricht, weil ihr Mann ihr wortlos zu verstehen gibt, dass ihm das Mittagessen nicht geschmeckt hat, indem er den vollen Teller von sich wegschiebt. Oder der Großvater wütend die Tür zum Schlafzimmer eintritt, weil diese unbeabsichtigt verschlossen war und ihm sein "Recht" als Mann verwehrt.

Betrachtet man Brigitte Schwaigers Lebenslauf, bleibt die Vermutung nicht aus, dass der Roman stark autobiografisch ist. Wie auch die Protagonistin wurde Schwaiger als Tochter eines Arztes geboren, ihre Ehe scheiterte nach nur 4 Jahren und Depressionen und Suizidversuche begleiteten sie ihr Leben lang. Im Juli 2010 fand man die Leiche der 61-Jährigen in Wien in der Donau; man geht von einem Selbstmord aus.
Mit diesem Wissen im Kopf wirkt ihr Buch noch bedrückender, denn es zeigt, dass die traurige Geschichte keinesfalls Fiktion ist, sondern genug Frauen in der Realität unter ihrem repressiven Leben zu leiden haben. "Wie kommt das Salz ins Meer" ist ein eindrucksvolles, jedoch trostloses Buch über gesellschaftliche Zwänge und den vergeblichen Versuch einer Frau, sich davon zu befreien. Keine leichte Kost, aber unbedingt empfehlenswert!


Wie kommt das Salz ins Meer - Brigitte Schwaiger
Sondereinband: 134 Seiten
Verlag: Haymon Verlag; Auflage: 1 (22. Februar 2011)
ISBN-10: 3852188776

Preis: 9,95 Euro

Willis Fazit:




Vielen Dank an Nicole Oberdanner und den Haymon Verlag für das Rezensionsexemplar!

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