Die verlorenen Briefe des William Woolf - Vom Zauber des Briefeschreibens und den Geschichten, die das Leben schreibt

Heute möchte ich euch wieder einmal ein Buch aus dem Wunderraum Verlag ans Herz legen: "Die verlorenen Briefe des William Woolf" von Helen Cullen. Darin geht es um einen Briefdetektiv, dessen Leben durch einen mysteriösen Liebesbrief ganz schön durcheinandergewirbelt wird.


"Briefe vereinen Seelen, wie kein Kuss es vermag." 
John Donne

Briefe, die ihren Adressaten nicht erreichen, kriegen durch William Woolf eine zweite Chance - als Briefdetektiv forscht er in London im Depot der verblichenen Briefe nach Hinweisen, um die Briefe doch noch zuzustellen. Als ihm eines Tages ein mysteriöser Liebesbrief von einer gewissen "Winter" unterkommt, die an ihre große Liebe schreibt, ist es wie ein Weckruf. Denn die Ehe mit seiner Frau Clare ist schon längst festgefahren und lässt in William den Wunsch keimen, die mysteriöse Frau kennenzulernen, die so offen und hoffnungsvoll über die Liebe und ihre Träume schreibt. Doch soll er sich wirklich auf die Suche nach der Unbekannten machen? Oder jagt er nur einem Wunschtraum hinterher?

Wann habt ihr zum letzten Mal einen handgeschriebenen Brief verfasst? In Zeiten der immer weiter zunehmenden Digitalisierung wirkt das Briefeschreiben vermutlich altmodisch, doch für mich hat es einen ganz besonderen Zauber - und genau den fängt Helen Cullen in ihrem Debütwerk wunderbar ein. Kombiniert mit der ungewöhnlichen Liebesgeschichte war dieses Buch für mich dadurch ein ganz besonderer, eher ruhiger Lesegenuss, der in mir den Wunsch nach einer Rückbesinnung auf diese romantischere Form der Kommunikation geweckt hat und welches ich euch gerne ans Herz legen möchte.

Wir lernen William im Depot der verblichenen Briefe kennen, wo er seit mehr als 10 Jahren arbeitet. In den Briefen, die er täglich durchforstet, hat er quasi schon alles erlebt: einige offenbaren Affären, andere decken jahrelang gehütete Geheimnisse auf oder enthalten sogar echte Schätze. Besonders angetan haben es William die Briefe an übersinnliche Entitäten wie Gott oder die Zahnfee. Per Zufall greift William in einem Postsack mit eben solchen Sendungen nach einem mitternachtsblauen Briefumschlag, adressiert an "Meine große Liebe" - und sieht schon bald sein so ruhig ablaufendes Leben gewaltig durchgerüttelt. Denn Winter, wie sich die Schreiberin nennt, weckt in ihm lange vergessene Wünsche und Sehnsüchte: den Wunsch, Schriftsteller zu werden und die Sehnsucht, seiner Frau wieder so nahe zu sein wie zu Beginn ihrer Beziehung. Oder sollte er sich von diesen Vorstellungen lösen und sich lieber auf die Suche nach Winter machen? Könnte William nicht ihre große Liebe sein?

Helen Cullen geht in ihrem Debütroman der Frage nach, ob man sich in jemanden verlieben kann, den man noch nie getroffen hat, sondern nur anhand von Briefen kennenlernt und wirft dabei auch die Frage auf, ob man ehrlicher ist, wenn man dem Empfänger nicht gegenübersteht und die Worte laut aussprechen muss oder ob man eher dazu neigt, zu beschönigen und sich selbst so darzustellen, wie man gerne wäre? Die Briefe, die wir hier gemeinsam mit William lesen, haben mich jedenfalls sehr berühren können und ich konnte das schöne Gefühl und die Genugtuung, einen fehlgeleiteten Brief doch noch zuzustellen, vielleicht sogar nach Jahren, wirklich nachvollziehen. 

In dem Buch geht es natürlich nicht nur um den Zauber von Briefen, sondern auch um die Natur der Liebe. In der Kunst, den Medien, in Romanen und Filmen wird ein Ideal der Liebe gezeichnet, dem die Realität eigentlich kaum standhalten kann. Und mit dieser Erkenntnis sehen sich auch William und Clare nach über zehn Jahren Ehe konfrontiert:   
"... sie hatten sich nicht nur äußerlich verändert. Wann hatten sich eigentlich ihre Gefühle füreinander gewandelt? Waren es unzählige winzige Veränderungen gewesen, die über einen langen Zeitraum hinweg geschehen waren? Oder hatte er etwas Offensichtliches übersehen? Wenn er und Clare innerlich noch immer dieselben waren, konnten sie dann nicht wieder zueinanderfinden? Oder hatten sie sich zu weit voneinander entfernt, um an einem anderen, aber glücklicheren Ort wieder zusammenzukommen?" (S. 27)
Die Geschichte wird abwechselnd von William als auch Clare erzählt und so sehen wir beide Seiten der Beziehung und mit welchen Problemen sie jeweils hadern. Dabei steht die Frage im Raum ob die Liebe im Alltag verloren geht, wenn sie nicht durch große Gesten verdeutlicht wird. Aber wie sieht es aus mit Williams Gefühlen für die unbekannte Winter? Zeichnen auch ihre Briefe ein idealisiertes Bild von der Liebe, dem die verführerische Unbekannte, sollte er auf sie treffen, vielleicht gar nicht standhalten kann?

Mein Fazit: Die verlorenen Briefe des William Woolf ist ein wunderbar erzähltes, emotionales Buch von der fast schon verlorenen Kunst des Briefeschreibens, von den faszinierenden Alltagsgeschichten, die das Leben schreibt und von der Frage, ob man einen Neuanfang wagen oder dem alten Traum, der alten Beziehung, dem alten Leben eine zweite Chance geben sollte? Wie William sich entscheidet, müsst ihr natürlich selbst herausfinden ;-) Nur so viel: die Geschichte lohnt sich!

4 Kommentare:

  1. Hach, ich denke es wird doch bei mir einziehen! Die erste rezension, die ich las, war nicht sehr begeistert, deswegen war ich nun etwas skeptisch, aber ich schreibe ja seit meiner Kindheit Briefe (ja, mit der hand und auf dem postweg), deswegen ist mir das Buch ja gleich ins Auge gefallen.
    Dein Foto ist übrigens soo schön!! =)

    Liebe Grüße
    Martina

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    1. Hi Martina, vielen Dank für das Kompliment. Den letzten Brief habe ich vor 4 Jahren geschrieben, als Hochzeitsgeschenk für meinen Mann habe ich 10 Briefe verfasst, die er an den nächsten 10 Hochzeitstagen öffnen darf. Danach tat mir die Hand ganz schön weh :-D
      Ich hoffe, das Buch wird dir ebenso gefallen wie mir.

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  2. Hallo meine Liebe

    Das Buch ist unterwegs zu mir und nun sehe ich deine begeisterte Empfehlung und freue mich noch viel mehr :-)

    Alles Liebe an dich und mach dir einen schönen Sonntag
    Livia

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    1. Hi Livia, na dann bin ich auf deine Meinung gespannt. Der Wunderraum Verlag kann mich ja immer wieder überzeugen :-)

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