Mein Leben als lexikalische Lücke - Ein Must Read, das zum Aufbegehren animiert

Heute möchte ich euch in meiner Rezension ein weiteres Must Read von einer meiner liebsten deutschsprachigen Autorinnen vorstellen: Mein Leben als lexikalische Lücke von Kyra Groh. Erfahrt hier, was mir daran so gut gefallen hat:

Gebundene Ausgabe | 448 Seiten | Arctis Verlag | Altersempfehlung: ab 14 Jahren

"Ich passe einfach oft nicht rein", fange ich an, bestärkt durch die Selbstverständlichkeit, die sie an den Tag gelegt hat, und durch das kleine Stück Körper, an dem wir wie magnetisch verbunden sind. "Es ist schwer zu beschreiben. Was ironisch ist, weil ich diese Angewohnheit habe, Worte zu sammeln, die etwas ganz, ganz Bestimmtes aussagen. Aber ich hab noch kein Wort gefunden, das dieses Gefühl ausdrückt, nirgendwoher zu kommen und nirgendwo dazuzugehören." 
"Du meinst, du bist eine lexikalische Lücke?" (S. 179)

Endlich ein Neustart! So empfindet Ben den Beginn seines Praktikums im Krankenhaus. Hier will er als der auftreten, der er schon immer sein wollte: weniger uncooler schüchterner Nerd Benni, mehr selbstsicherer angehender Medizinstudent Ben, dem es endlich gelingt, sich vom einengenden Griff seiner strenggläubigen Mutter zu lösen. Ähnlich eingeengt fühlt sich auch Jule Zuhause, denn ihre Familie hat keinerlei Verständnis für die Themen, die Jule wichtig sind: Umweltschutz, Feminismus, vegane Ernährung. Und so bleibt sie lieber still und lebt ihre Interessen nur heimlich außerhalb ihres Zuhauses aus. Als Ben und Jule eines Tages zufällig aufeinandertreffen, fühlen sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben vollkommen verstanden. Doch das Chaos lässt nicht lange auf sich warten...

Es gibt einen Grund, warum die Bücher von Kyra Groh quasi ohne dass ich Genaueres über sie weiß jedes Jahr sofort auf meine Must Read-Liste wandern. Denn Kyra weiß einfach, wie man den Zeitgeist einer Generation einfängt und daraus eine sowohl unterhaltsame, als auch zu Herzen gehende Geschichte strickt. So hat sie mir auch mit "Mein Leben als lexikalische Lücke" wieder einmal bewiesen, dass sie zu Recht zu meinen Lieblingsautorinnen gehört ♥

In ihrem neuesten Buch geht es um Benni und Jule, die beide das Gefühl haben, nicht so richtig dazuzugehören, keinen richtigen Platz zu haben in der eigenen Familie, im Freundeskreis, im eigenen Leben. So fühlt sich Jule zunehmend unwohler Zuhause, wenn ihre Eltern mal wieder einen blöden Spruch gegen Ausländer vom Stapel lassen oder meinen, dass Leute, die sich für Umweltschutz einsetzen, einen an der Klatsche haben. Kein Wunder, dass Jule es geheim hält, dass sie seit einer Weile vegan lebt und Stoffbeutel mit Umwelt-Botschaften bedruckt. 

Ben fühlt sich ebenfalls fehl am Platz, denn eigentlich wollte er in Groningen Medizin studieren und sich mit seinem besten Freund Jake eine Wohnung teilen (der Jake, der mich bereits in "Sicherheit ist eine verdammt fiese Illusion" im Sturm erobern konnte, hach! Ich habe mich wie ein kleines Kind über seinen Gastauftritt gefreut). Doch das Schuldbewusstsein gegenüber seiner alleinerziehenden Mutter, deren einziger Lebenssinn ihr Sohn und ihr Glaube sind, haben dann doch dazu geführt, dass Ben seine eigenen Interessen zurückgestellt hat. Aber langsam erträgt er das eingeengte Leben zwischen Kruzifixen und mittelalterlichen Glaubenssätzen nicht mehr...

Als Ben und Jule aufeinandertreffen, wirkt es tatsächlich so, als wären sie wie füreinander gemacht, so perfekt passen die beiden zueinander. Gegenseitig vermitteln sie einander endlich das Zugehörigkeitsgefühl, nach dem sie sich schon immer gesehnt haben und ich fand sie sehr süß zusammen. Aber obwohl es in "Mein Leben als lexikalische Lücke" natürlich auch um die Liebesgeschichte zwischen den beiden geht, steht doch viel mehr noch der Konflikt mit den Eltern im Vordergrund und das Loslösen von den Ansichten, die sie als Kinder niemals hinterfragt haben, die aber, je älter sie werden, plötzlich nicht mehr zu ihren eigenen Einstellungen und Ansichten passen.

"Und wenn ich ehrlich bin, frage ich mich, ob es für meine Mutter nicht nur eine Ausrede ist." 
"Ihr Glaube, meinst du?" 
(...) "Wenn sie an die Grenzen von dem stößt, was sie begreift, wenn sie dazulernen oder sich einen Fehler eingestehen müsste, dann schützt sie ihren Glauben vor. (...) Ich meine: Sie ist meine Mutter, ich hab sie echt lieb", werfe ich ein, "aber manchmal denkt ein gemeiner, dunkler Teil von mir, dass sie es sich leicht macht. Wenn ihr etwas nicht passt, dann..." (S. 298)
Sowohl Ben als auch Jule sind zwei sehr aufgeklärte, moderne Teenager, die sich mit Weltanschauungen konfrontiert sehen, die sie einfach nicht teilen. Doch bisher sind beide lieber den Weg des geringsten Widerstands gegangen und haben den Mund gehalten, als sich auf anstrengende Diskussion einzulassen. 

Auch wenn das nun erstmal wenig nach einer Gute-Laune Geschichte klingt, erzählt Kyra Groh sie doch auf ihre gewohnt spritzige, unheimlich unterhaltsame Art, die jedes Buch für mich zu einem echten Comedy-Erlebnis macht und mit der sie mir immer wieder die Lachtränen in die Augen treibt. Dabei verliert sie aber auch nie den nötigen Ernst für die angesprochenen Themen, sondern transportiert ihre Botschaft nachdrücklich - aber eben auf coole Art.

Ben als auch Jule müssen im Verlauf der Geschichte lernen, zu ihrer Meinung zu stehen - so wie wir alle, wenn wir im Alltag mit Aussagen konfrontiert werden, die wir für falsch oder moralisch verwerflich halten. So ist "Mein Leben als lexikalische Lücke" ein Buch für alle, die schon einmal in Gesellschaft den Gedanken hatten "Jetzt müsstest du eigentlich was sagen" und sich doch nie getraut haben. Ein Buch, das Mut macht und dazu ermuntert, aufzubegehren, laut zu sein, für die eigene Meinung einzustehen. Und dafür gibt es von mir eine dicke Leseempfehlung für Jung und Alt!


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2 Kommentare:

  1. Liebe Friederike

    Das Lesegefühl, das du beschreibst, erinnert mich an das Lesegefühl, das ich damals beim Lesen der "Plötzlich Prinzessin"-Reihe hatte. Was würde ich dafür geben, die Reihe noch einmal zum ersten Mal zu lesen... (schmaaacht) Ich merke mir die Bücher von Kyra Groh auf jeden Fall vor.

    Lieben Dank für deine Empfehlung
    Livia

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  2. Liebe Friederike,

    eine Story, die den Zeitgeist der Generation einfängt. Schön hast du das gesagt.
    Dabei fällt mir wiedr ein, dass ich "Sicherheit ist eine verdammte Illusion" noch auf der Wunschliste habe. Das darf ich nicht vergessen.
    Danke für den Friendly Reminder und die Vorstellung des neuen Buches.

    Liebe Grüße
    Tina

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