Warum der Streit um die Übersetzung von Amanda Gorman die falsche Botschaft vermittelt

Die Niederländerin Marieke Lucas Rijneveld sollte das Gedicht von Amanda Gorman übersetzen, welches bei der Inauguration des neuen US-Präsidenten um die Welt ging. Doch nach Proteststimmen wurde ihr dieser Job aberkannt - weil sie nicht schwarz ist, wie Amanda Gorman. Das gleiche musste auch der katalanische Übersetzer Victor Obiols erleben, dem der Auftrag entzogen wurde, weil er das falsche "Profil" habe - er ist keine junge, schwarze Frau. 

Aber Moment einmal, Amanda Gorman wird doch sicherlich noch viel mehr sein als einfach nur schwarz? Sie wird sich doch ganz bestimmt nicht nur über ihre Hautfarbe definiert sehen wollen? Tja, genau dazu führt diese Diskussion darüber, wer ihr Werk übersetzen darf, in meinen Augen aber: der Fokus wird zwangsweise auf ihre Hautfarbe gelegt.  

 


Die deutsche Autorin und Übersetzerin Rasha Khayat hat dazu in der ZEIT einen sehr treffenden Artikel verfasst und schlussfolgert:

»Amanda Gorman muss von einer Schwarzen übersetzt werden? Die Reduktion von Autorinnen auf ihre Identität zeigt, wie wenig der Literaturbetrieb von Diversität versteht.«

  

Übersetzen kann nur wer genauso ist wie die Schreibenden

Dürfen Werke nur noch von Personen übersetzt werden, die genauso sind wie die Autor*innen? Können nur diese sich ausreichend in deren Situation einfühlen? Der katalanische Übersetzer Victor Obiols äußert sich dazu kritisch:

»Wenn ich eine Dichterin nicht übersetzen kann, weil sie eine junge, schwarze Frau ist, eine Amerikanerin des 21. Jahrhunderts, kann ich Homer auch nicht übersetzen, weil ich kein Grieche des 8. Jahrhunderts vor Christus bin. Oder hätte Shakespeare nicht übersetzen können, weil ich kein Engländer des 16. Jahrhunderts bin.«

Und andersrum, zu behaupten, jemand wäre besser geeignet ein Buch zu übersetzen, weil so oberflächliche Merkmale wie Geschlecht und Hautfarbe übereinstimmen, ist genauso falsch. Wie Rasha Khayat es treffend formuliert:

»Verdammt, bin ich diesen Missbrauch als Migrationsmaskottchen leid. Was habe ich keine Lust mehr, mir ein Etikett anheften und mich einschränken und in eine Schublade stecken zu lassen, was ich wie erzählen kann und darf und wie glaubwürdig es ist, nur weil jemand meine Biografie auf zwei Eckpunkte runtergedampft hat und mir deshalb Authentizität und Expertentum unterstellt.«

Die gleichen Gedanken hatte ich auch. Denn wenn man damit argumentiert, dass die Erfahrungswelt der Übersetzenden ähnlich sein sollte, würde das bedeuten, dass Geschichten von deutschen Autor*innen nur von Leuten mit deutschem Background übersetzt werden können, weil nur sie nachvollziehen können, wie sich die deutsche Vergangenheit auf die nachfolgenden Generationen ausgewirkt und ins Denken eingebrannt hat. Und schwarze Übersetzende sind dann natürlich auch nicht befähigt, Werke von weißen Autor*innen zu übersetzen. Ach ja, und Frauen können dann selbstverständlich keine Texte übersetzen, die von Männern geschrieben wurden, ist ja logisch.  

Na, merkt ihr schon, dass diese ganze Diskussion ziemlich problematisch ist und rassistische Gedanken eher fördert als abbaut? Und was bedeutet es eigentlich, die gleiche Erfahrungswelt aufzuweisen? Woran macht man das fest? An der gleichen Nationalität? Am gleichen kulturellem Hintergrund? An der Hautfarbe?

Und was, wenn es den Schreibenden beim Schreiben gar nicht um ihre Situation geht, sondern sie eine fiktive Geschichte erzählen wollen? Ist es dann nicht egal, wer die Geschichte übersetzt? Bei der ganzen Diskussion wird Amanda Gorman auf ihre Identität reduziert: das Buch wurde von einer Schwarzen geschrieben. Also wird hier auch eine schwarze Geschichte erzählt. Wirklich?

 

Was braucht man, um ein Buch übersetzen zu können?

Wenn jemand den Job als Übersetzer*in ausübt, gehe ich davon aus, dass diese Person sprachlich geschult und sensibel genug ist, um nachvollziehen zu können, welchen Eindruck ihre Wortwahl erzeugt. Denn klar, ich kann einen Text aus dem Englischen natürlich auch übersetzen, so dass ihn jemand versteht, der kein Englisch spricht. Aber das heißt noch lange nicht, dass ich die sprachliche Finesse auch so rüberbringen kann, wie es eine Übersetzerin täte, weil mir dazu der fachliche Hintergrund fehlt und ich mich eben nicht genauestens mit Linguistik auskenne.

In meinem Verständnis braucht es beim Übersetzen also an allererster Stelle Expertise, Kompetenz. Und nicht die gleiche Herkunft, Kultur oder Hautfarbe. Und letztlich: eine Übersetzung ist immer nur eine Annäherung ans Original, keine identische fremdsprachige Kopie, egal, wie ähnlich Autor*in und Übersetzende sich sein mögen.

Und hey, wenn ich als Übersetzerin am Werk einer Person arbeite, deren Erfahrungswelt mir selbst fremd ist, wenn mir mir selbst der Erfahrungsschatz fehlt, was mache ich dann? Dann hole ich mir halt den Rat von Leuten ein, die Ahnung haben! Etwas, was für Autor*innen eh dazugehört, egal ob sie historische Fakten recherchieren, sich zu medizinischen Themen beraten lassen oder Sensitive Readers hinzuziehen bei sensiblen Themen wie psychischen Problemen oder Missbrauchserfahrungen, die die Schreibenden nicht selbst erlebt haben. So kann man prüfen, ob das, was man geschrieben hat, nicht total an der Lebensrealität vorbeigeht.

Eben das dürfte wohl auch dazu geführt haben, dass Amanda Gormans Gedicht in Deutschland von einem dreiköpfigen Team übersetzt wird, bestehend aus einer Übersetzerin, einer Rassismusforscherin und einer Autorin und Aktivistin. Wieviel Mehrwert es für die Übersetzung hat wird man natürlich nie klar bestimmen können (wobei das echt eine interessante Fragestellung wäre). Aber sind wir mal ehrlich, drei Leute, um 32 Seiten (!) zu übersetzen, ernsthaft?!


Was sagt ihr zu dem Thema? Braucht es Ähnlichkeiten in der Erfahrungswelt, um ein Werk wirklich übersetzen zu können?


Quellen:

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/debatte-um-die-uebersetzung-der-amerikanischen-dichterin-amanda-gorman-17228967.html

https://www.deutschlandfunkkultur.de/streit-um-amanda-gorman-uebersetzung-es-geht-nicht-um.2156.de.html?dram:article_id=493425

https://www.spiegel.de/kultur/amanda-gorman-katalanischer-uebersetzer-hat-falsches-profil-a-6b1544ef-59ca-4377-ac29-77aa6bb3fcc1

https://www.zeit.de/kultur/literatur/2021-03/diversitaet-literatur-amanda-gorman-uebersetzung-migration-biografie

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4 Kommentare:

  1. Hallo liebe Friederike

    Die Diskussion habe ich ja gar nicht mitbekommen, aber nach der Lektüre deines Textes kann ich dir nur zustimmen. Oft wird in meinen Augen das Vorschützen von Interesse für die Behebung von Diskriminierungen praktiziert, um sich gar nicht erst mit einem Thema zu befassen. Und wie du schon schreibst, werden dabei Gräben noch vergrössert und Menschen vermehrt auf ihre Herkuft, Hautfarbe und ihr Geschlecht reduziert. Dabei gibt es schon einen Übersetzer:innenkodez, der meiner Meinung nach genug weit greift.

    Dazu fällt mir auch immer der Kulturbetrieb ein. Das ist zwar nicht ganz das gleiche, zeigt aber genau so gut auf, wie Themen vorgeschoben und dadurch andere Themen umgangen werden. Jede einzelne Oper ist rassistisch. Was hat man also gemacht? Beleidigende Texte geändert, Hautfarben und Stereotype abgeschafft usw. Jemand kann einfältig sein, ohne dabei ein rassistisches Bild (bei Wagner zum Beispiel ein dummer Jude) zu bedienen, jemand kann gefangen sein, ohne ein Sklave zu sein, so weit so gut, die Handlung ändert sich nicht wirklich, diese Bestrebungen unterstütze ich sehr und finde auch, dass sie weiterhin konsequent durchgezogen werden sollen aber dass dabei auch (beispielsweise im Programmheft) auf den historischen Kontext und dadurch entstehende heute klar erkennbaren Problematiken hingewiesen wird.

    ABER: nicht nur sind alle Opern rassistisch, es sind auch alle Opern massivst sexitisch. Nur: wenn man die rassistischen Texte ändert, verändert sich die Handlung - wie oben beschrieben - nicht. Wenn aber der Protagonist plötzlich kein Vergewaltiger und Fremdgänger mehr sein darf, wenn die Frau nicht mehr heldenhaft vom Ritter gerettet und vom Vater verkauft werden darf, ändert sich die Handlung sehr wohl. Abgesehen davon sind Sexismus und übergriffiges Verhalten in der Opernwelt leider an der Tagesordnung (generell in der Kultur, ich berichte aus Erfahrung). Das Rassismusthema und die Wichtigkeit der Änderungen und Anpassungen werden vorgeschoben, um sich gar nicht erst mit dem Sexismus auseinanderzusetzen und das ärgert nicht. Man darf die beiden Themen nicht gegeneinander ausspielen, das meine ich gar nicht. Denn beide sind wichtig. Das eine Thema darf aber nicht dazu dienen, sich "reinzuwaschen" und sich somit gar nicht erst mit dem andern - genau so dringlichen - Thema auseinanderzusetzen.

    Dein Beispiel mit den Übersetzungen erinnert mich genau an mein Beispiel und scheint mir auch so, als würde vermeintliches Wohlwollen vorgeschoben, damit man sich gar nicht mit dem eigentlichen befassen muss. Deshalb ist es so wichtig, darauf hinzuweisen. Und deshalb finde ich es auch immer sehr wichtig, dass man versucht, herauszuspüren, weshalb eine Diskussion plötzlich ins Zentrum rückt. Oft ist es eine Ablenkung von einem noch grösseren Missstand und da gilt es, den Finger auf die Wunde zu legen.

    Ich hoffe, du verstehst, was ich meine und danke dir sehr, sehr herzlich für deinen differenzierten Text. Mach dir noch einen schönen Sonntag
    Livia

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  2. Hallo Fredericke!
    Ich muss ehrlich sagen das ich ein bisschen überrascht bin dass es diese Debatte zur Übersetzung von Amanda Gormans Text gibt.
    Es ist doch am Ende völlig egal als was oder wie sich der oder die Übersetzerin definiert solange der Text korrekt sprachlich übersetzt wurde und das rüberbringt wie es gedacht war.
    Wenn ich Bücher in anderen Sprachen lese übersetzte ich mir die ja auch selbst, wäre nach der Logik auch nicht möglich.
    Und wer übersetzt dann Fantasybücher? Niemand hat solche Erfahrungswelten das darf dann niemand mehr? Habe selten so einen Quark gehört.

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  3. Huhu,

    an und für sich magst du Recht haben. Aber dieser Wunsch nach Übersetzer*innen, die ein ähnliches Profil haben, kommt nicht von ungefähr. In den letzten Jahren gab es immer wieder Fälle, hier in Deutschland, wo Weiße, nicht behinderte Männer und Frauen (bewusst binär gehalten) Bücher von Schwarzen, nicht-binären und/oder behinderten Autor*innen übersetzt haben und reihenweise retraumatisierenden Mist reingebaut haben, weil sie es nicht besser wussten. Wenn man also für die Übersetzung nicht noch mal zusätzlich Sensitivity Reader bezahlen möchte, ist es von Vorteil, jemanden zu engagieren, der nicht plötzlich mehr Rassismen, Ableismen oder Queerfeindlichkeit einbaut, als vorher drin war.

    So gibt es in Trevor Noahs Biografie Stellen, die problematisch sind - vom Titel ganz abgesehen -, aber eben nur auf deutsch. (Naja, auch im Original gibt es problematische Stellen, weil es in seiner Kindheit noch normal war, Kinder zu verprügeln. Aber das ist eben seine Biografie, er hat es so erlebt.) Dann gibt es ständig Fälle, wo Charaktere plötzlich weiblich oder männlich sind, obwohl sie im Original 'they' sind - ohne Absprache mit den Originalautor*innen, die dann auf die Barrikaden gehen müssen. Und was ich alles schon an ableistischen Scheiß lesen musste, geht auf keine Kuhhaut.

    Also ist es eine Frage von Geld. Und gleichzeitig auch eine der Marginalisierung. Denn marginalisierte Menschen im Kulturbetrieb kriegen schon deutlich weniger Aufträge, weniger Gehalt, ... Also kann das darüber hinaus auch dazu beitragen, dass Marginalisierte endlich mehr Aufträge bekommen. Sei es eben als Sensitivity Reader oder gleich als Übersetzer*innen.

    Also sehe ich das eher als positiv, weil so endlich mal auch Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird, dass Nicht-Betroffene bei Texten von Betroffenen selten keine Fehler machen. Dass es mindestens Sensitivity Reader braucht. Oder aber, wenn man nicht ein weiteres Gehalt zahlen kann oder will, eben gleich ein*e Betroffene*r übersetzen sollte.

    LG
    Taaya

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    1. Hi Taaya, danke für deine Meinung. Okay, deine genannten Punkte kann ich durchaus nachvollziehen. Ich glaube, in dem Punkt sind wir uns einig: es sollte eine Person drüberlesen, die Ahnung hat und sich mit der Thematik auskennt.

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