Wie Ellie Carr zu leben lernt - Berührend-humorvoller Einblick in den Kopf einer Autistin

In meiner heutigen Rezension möchte ich euch wieder einmal ein Buch aus dem Wunderraum Verlag ans Herz legen: "Wie Ellie Carr zu leben lernt" von Frances Maynard. Darin geht es um die Autistin Ellie, die von einem Tag auf den anderen lernen muss, auf eigenen Beinen zu stehen und sich dafür eine Liste mit sieben Regeln für den Umgang mit ihren Mitmenschen anlegt.


"Wir alle hatten Probleme mit anderen Menschen. Mit normalen Menschen. Herauszufinden, dass diese Leute auch eins hatten, nachdem ich ein ganzes Leben lang mit einem Etikett versehen worden war, ließ mich vor Freude erschauern. Keine von uns verstand Normale oder wie sie kommunizierten. Mehrere Frauen verglichen ihre Erlebnisse genau wie ich damit, Touristen in einem fremden Land zu sein, dessen Sprache und Sitten sie nicht verstanden." (S. 99)

Ellie ist 27 Jahre alt und weiß absolut alles über Kekse - wie viele Löcher in ein Shortbread gehören, welche Farben die Verpackungen der diversen Sorten haben, wann eine Sorte erfunden wurde. Doch von Menschen versteht sie nicht allzu viel, zu unlogisch und unvorhersehbar verhalten sie sich meist. Doch als ihre Mutter plötzlich ins Krankenhaus kommt, ist Ellie von heute auf morgen auf sich allein gestellt und muss lernen, ihren Alltag ohne das stete wachsame Auge der Mutter zu bewältigen. Mithilfe ihrer Nachbarin legt sie sich eine Liste mit sieben unfehlbaren Regeln an, die ihr dabei helfen soll. Doch ziemlich schnell muss Ellie feststellen, dass ihre Mitmenschen sich leider nicht so wirklich an diese Regeln halten wollen...

Und wieder einmal möchte ich euch ein Buch aus dem Wunderraum Verlag empfehlen, welcher mich bislang noch nicht ein Mal enttäuschen konnte. Diesmal ist es die einfühlsam und amüsant erzählte Geschichte der Autistin Ellie, die sich im chaotischen Dickicht der menschlichen Verhaltensweisen zurechtzufinden versucht, die mich sehr berühren konnte. Ein Buch, welches nicht nur unsere Definition von "Normal" infrage stellt, sondern auch eine ganz besondere Sichtweise auf das Leben vermittelt.

Ellie ist 27 Jahre alt, Autistin und lebt bei ihrer Mutter. Sie ist ein Ass darin, sich Fakten zu merken und mag es, Regeln zu befolgen und ihren Alltag klar zu strukturieren. Abweichungen von ihrer Routine bekommen ihr dagegen nicht und haben sie schon des öfteren in Schwierigkeiten gebracht. Sprichwörter versteht sie nicht, genauso wenig wie Andeutungen, und  auch Redewendungen nimmt sie stets wörtlich. Lügen tut sie auch nicht, was selbst schon kleinste banale Gespräche mit ihren Mitmenschen schwierig machen kann. So wirkt sie für andere Menschen häufig unbeholfen und sogar dumm, wenn sie gewisse Aussprüche nicht versteht. Ellie ist jedoch alles andere als dumm, was sich zeigt, als ihre Mutter ins Krankenhaus kommt und sie ihr Leben plötzlich selbst in die Hand nehmen muss.

Das Buch gehört zum ersten Programm des Wunderraum Verlags aus dem Jahr 2017, welches ganz im Zeichen des Themas "Familie" stand. So gilt es hier nicht nur, ein großes Familiengeheimnis zu lüften, welches Ellies komplettes Weltbild auf den Kopf stellt, sondern auch die unterschiedlichen Definitionen zu erforschen, was eigentlich eine Familie ausmacht.

Als Mutter, aber auch als Psychologin musste ich oft schlucken und meine Wut auf Ellies Mutter oder die Menschen in ihrem Umfeld bekämpfen, die mit Ellies anormalem Verhalten nicht klarkommen und sich davon genervt zeigen, was Ellie oft verletzt. So ist besonders Ellies Mutter sehr verbittert und lässt dies nur zu gerne an ihrer "plumpen" Tochter aus. Als Leser versteht man auch recht bald, woher ihre Verbitterung rührt. Ellie jedoch versteht die Kommentare ihrer Mutter nicht und so hat mich das gedankenlose, uneinsichtige Verhalten ihrer Mutter oftmals empört. 

Die Autorin Frances Maynard ist Lehrerin an einer Schule für lernbehinderte Schüler, zu denen dabei auch Autisten zählen, und diese Erfahrung und den Einblick in die Gedankenwelt von Autisten merkt man der Geschichte auch an, denn Ellies Denke und Verhaltensweisen erscheinen sehr real. Obwohl Ellie kein besonders gefühlsbetonter Mensch ist, habe ich an ihrer Seite doch jede Menge Emotionen durchlebt. Angst in Situationen, die Ellie schlicht nicht versteht, Enttäuschung, wenn sie trotz des Einhaltens ihrer Regeln Ärger mit ihren Mitmenschen bekommt, Freude über jeden Erfolg, den sie erlebt. Ellis nüchterne Betrachtungsweise hat mir dabei oft deutlich vor Augen geführt, wie unlogisch oder auch heuchlerisch das Verhalten von "Normalen" doch zeitweise ist.

Ellie bei ihrem Weg in ein selbstständiges Leben zu verfolgen, hat sich lehrreich, unterhaltsam und auch spannend gelesen. Das Familiengeheimnis, welches sich in den Andeutungen der Mutter oder Bekannten der Familie widerspiegelt, hat der Geschichte dabei noch eine zusätzliche Note Spannung verliehen, auch wenn man sich als "normaler" Mensch ziemlich schnell denken kann, worum es sich handelt.

Mein Fazit: Ellies Geschichte kann ich euch wirklich nur ans Herz legen. Sie sensibilisiert die Leser nicht nur für das Störungsbild des Autismus und dafür, welche Probleme Betroffene tagtäglich erleben, sondern erzählt auch eine berührende Geschichte über Familie, Freundschaft und den Wert eines selbstbestimmten Lebens.


Gebundene Ausgabe | 448 Seiten | Wunderraum Verlag | Übersetzung: Marie-Luise Bezzenberger | Hier kaufen*




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