Heute möchte ich euch in meiner Rezension ein Buch ans Herz legen, welches nicht nur ein brandaktuelles Thema hat, sondern auch eine fesselnde und emotionale Geschichte erzählt: "Junge ohne Namen" von Steve Tasane.
"Auch ich habe mein Lebensbuch verloren. Die meisten unbegleiteten Minderjährigen im Lager haben ihr Lebensbuch verloren. Es wurde gestohlen, beschlagnahmt oder von Bomben zerfetzt, ist verbrannt oder im Meer versunken.
Deshalb muss ich meine Geschichte erzählen. Und auch die von L und E und V. Wenn niemand unsere Geschichten hört, werden wir diesem Ort nie entkommen. Dann werden wir nie ein neues Zuhause finden. Dann werden wir nie neue Geschichten haben und unser Leben weiterleben." (S. 31)
I ist zehn Jahre alt und lebt in einem Flüchtlingslager. Er ist ein unbegleiteter Minderjähriger, weiß weder, wo seine Familie ist, noch, wie es mit ihm weitergehen soll. Denn Papiere hat er nicht, und ohne hat er keine Zukunftsaussichten. Doch er ist nicht ganz allein, denn er hat ja L und E und V an seiner Seite, mit denen er den Alltag im Lager in ein Abenteuer verwandelt...
Bei der Besprechung dieses Buches kann ich mich natürlich nicht auf dessen Inhalt beschränken, ohne politisch zu werden, aber ich denke, das wird auch durchaus Intention des Autors gewesen sein. Mit "Junge ohne Namen" hat er eine eindringliche, traurige und gleichzeitig hoffnungsvolle Geschichte geschrieben, die zwar fiktiv ist, aber auf realen Ereignissen basiert und damit das Versagen der Gesellschaft offenbart, denen zu helfen und die zu schützen, die es am meisten benötigen: Kinder.
Doch um Politik geht es nicht in diesem Buch, sondern um die Geschichte eines namenlosen Jungens, der sie uns erzählt, um einen Nachweis für seine Existenz zu haben. Durch I' Schilderungen erleben wir den Alltag in einem nicht näher bezeichneten Flüchtlingslager aus einer unschuldigen, dadurch aber auch sehr berührenden Perspektive, nämlich aus der Sicht eines Kindes. I wird zu Beginn des Buches 10 Jahre alt und fühlt sich nun in der Verantwortung, sich um seine Freunde zu kümmern. So versucht er sie von deprimierenden Erinnerungen oder Erlebnissen im Lager abzulenken, indem er sich immer wieder neue Spiele für sie ausdenkt.
Und Ablenkung brauchen sie wirklich, denn I und seine Freunde gehen fast täglich hungrig zu Bett, da sie als unbegleitete Kinder niemanden haben, der sich um sie kümmert, und bei Essensausgaben schaffen sie es nicht, sich gegen die Erwachsenen durchzusetzen. So sammeln sie heruntergefallene Brotkrumen auf oder wühlen im Müll nach Essensresten.
"Wir könnten heimkehren. Weiter dem Tiefen Graben folgen, bis sich das Lager zum Land hin öffnet, und danach der Straße folgen. Der Straße, die nach Hause führt. Aber dieses Zuhause gibt es nicht mehr. Unser Zuhause wurde von Bomben zerstört. Unsere Familien wurden von Soldaten getötet. Unsere Schulen wurden niedergebrannt." (S. 67/68)
Was I auf seinem Weg in das Flüchtlingslager erlebt hat, wird von ihm nur rudimentär angerissen, denn I will lieber nicht an die Vergangenheit denken. Aber dass die Vergangenheit natürlich nicht einfach verschwindet, offenbart sich, wenn er das Klappern eines Storches für das Knattern von Gewehrschüssen hält oder er sein lautes Herzklopfen mit detonierenden Bomben vergleicht. Hier zeigt sich sehr deutlich, wie stark sich die traumatischen Ereignisse auf die Kinder im Lager auswirken.
Beim Lesen dieses Buches saß ich oftmals traurig, schockiert und ohnmächtig vor den Seiten und habe Wut verspürt auf die Politiker weltweit, die das Problem nicht sehen wollen oder sich nicht um menschlichere Lösungen bemühen. Besonders als Mutter hat es mich mitgenommen, was diese Kinder hier erleben müssen und dass sie ganz auf sich allein gestellt sind.
"Vielleicht glauben sie, wir würden im Schlamm verschwinden, wenn sie uns lange genug ignorieren." (S. 68)
Autor Steve Tasane, Sohn eines Flüchtlings, hat zwar selbst nicht in einem Flüchtlingslager leben müssen, die Ereignisse, die er hier schildert, basieren jedoch auf wahren Begebenheiten echter Kinder, was die Geschichte nur noch bedrückender macht, denn hier wird vom Sterben der Eltern, Gewalt auf der Flucht oder Armut und Hunger berichtet. Etwas, dass unzählige Kinder auf der ganzen Welt erleben, jetzt, in diesem Moment, jeden Tag.
"Und die Wachmänner?", fragt sie. "Sie müssten sich doch um O kümmern, oder?" Charity schüttelt den Kopf. "Kein Ausweis." Sie legt die Stirn in Falten. "Keine Geschichte. O existiert nicht. Er ist nicht ihr Problem."
"Er ist kein Problem", faucht V. "Er ist ein kleines Kind. Fast noch ein Baby." (S. 83)
Mein Fazit: Dieses Buch ist ein stilles, aber starkes Plädoyer für eine würdige Behandlung von Menschen in Not, welches neben den Schrecken aber auch zeigt, dass selbst unter den widrigsten Umständen Freundschaft, Liebe und Zusammenhalt existiert. Und das gibt mir wieder Hoffnung. Lesen, drüber nachdenken, und handeln!
So, Kommentar Nummer 2 heute bei dir: ;)
AntwortenLöschenAuch dieses Buch habe ich auf meiner Wunschliste. gerade habe ich, weil ich es mit zwei Klassen lese, das Buch "Bloß nicht weinen, Akbar" gelesen, das von einem jugendlichen Flüchtling handelt. Obwohl es vom schreiberischen Aspekt her nicht so gelungen ist, ist die Geschichte einnehmend und führt einem nochmal deutlich das Schicksal, das hinter beinahe jeder Flucht steckt, deutlich vor Augen.
Mal sehen, wie viele vorher von dir rezensierte Bücher ich demnächst im Regal stehen habe. :D
Hehe fleißig fleißig, das lobe ich mir :-) Ich habe mir das Akbar-Buch bei dir angesehen, schade dass es schriftstellerisch nicht ganz mit der Wucht des Themas mithalten kann.
LöschenSo, nachdem ich das Buch beendet habe, habe ich nun, wie versprochen, deine Rezension gelesen und du sprichst mir aus der Seele. Ich bin zwar selbst noch nicht Mutter, fand es aber auch ganz schrecklich, was diese Kinder durchmachen müssen. Es hat mich richtig mitgenommen, dabei ist es nicht das erste Buch, das ich zu diesem Thema lese.
AntwortenLöschen